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„Unser Plan für Deutschland – Gleichwertige Lebensverhältnisse überall“

Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) begrüßt Initiative aus der Bundesregierung, sieht aber noch viele offene Fragen bei der Umsetzung

Als ein wichtiges und erfreuliches Signal sieht das Präsidium der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) das jetzt auf Bundesebene vorgelegte Papier „Unser Plan für Deutschland – Gleichwertige Lebensverhältnisse überall“, das die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse zur „prioritären Aufgabe der Politik der nächsten Dekade“ erklärt. Die Präsidentin der Akademie, Prof. Dr. Sabine Baumgart, begrüßte im Namen des gesamten Präsidiums die damit zum Ausdruck kommende politische Bedeutung des Themas. Der für die Raumordnung zuständige Bundesminister Horst Seehofer hatte dies mit dem Satz „Wenn Unterschiede in den Lebensverhältnissen zu einem Nachteil werden, muss sich die Politik kümmern“ auf den Punkt gebracht.

Aufgabe der Raumordnung ist es, die vielfältigen Nutzungsansprüche an den Raum zu koordinieren, die unterschiedlichen Interessen und Belange im Sinne einer nachhaltigen Raumentwicklung zu vermitteln und abzustimmen. Während die Städte und Gemeinden mit ihrer Bauleitplanung auf örtlicher Ebene agieren, ist die Raumordnung für die regionale, landes- und bundesweite Ebene verantwortlich. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist dabei seit vielen Jahren als Auftrag im Raumordnungsgesetz des Bundes festgelegt. Dazu gehört die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum ebenso wie der Zugang zum Internet und Angebote der Mobilität für eine älter werdende Bevölkerung in ländlichen Regionen.Tatsache ist allerdings, dass in den letzten Jahren die Raumordnungspolitik auf Bundesebene fast unsichtbar war und das für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtige Thema in den Hintergrund geraten ist.

Bei allem Respekt für die klaren Aussagen von Minister Seehofer sieht es das ARL-Präsidium mit Sorge, dass der nun von ihm und den Ministerinnen Klöckner und Giffey vorgelegte „Plan für Deutschland“ kein Gemeinschaftsprodukt der Mitte 2018 von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ist. Nachdem sich die Kommission unter Mitwirkung des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände in sechs Facharbeitsgruppen intensiv mit den unterschiedlichen Aspekten des Themas auseinandergesetzt hat, müssen die Empfehlungen der Fachkommissionen jetzt in einem nächsten Schritt in konkrete Maßnahmen mit Finanzierungskonzepten zusammengeführt werden. Dass dieses Signal nicht gegeben wurde, zeigt auch die Schwäche des kooperativen Föderalismus, sich pragmatisch auf gemeinsame Grundlinien bundesweiter Politik zu verständigen.

Obgleich die hochgesteckten Erwartungen an die Kommission nicht erfüllt wurden, sieht das Präsidium der Akademie in dem „Plan für Deutschland“ eine Wiederbelebung der Raumordnungspolitik auf Bundesebene. Dass diese dabei den Schulterschluss mit der Landwirtschaftspolitik und der Familienpolitik übt, sieht sie als guten Einstieg in eine breit abgestimmte Politik zu einer nachhaltig ausgerichteten Entwicklung Deutschlands, die letztlich alle Bundesressorts einschließlich des Finanzministeriums einbeziehen muss. Dazu bietet der Plan ein breites Spektrum von Ansatzpunkten, die in eine verbindliche raumordnungspolitische Agenda der gesamten Bundesregierung münden könnten.

Zu den markanten Aussagen des Plans gehört, dass nicht in vereinfachten Klischees von Ost und West sowie Stadt und Land argumentiert wird. Wohltuend differenziert wird auf die große Spannweite regionaler Entwicklungsstände in Deutschland hingewiesen, wo es nicht nur boomende Metropolen und von Abwanderung geprägte ländliche Räume gibt, sondern auch prosperierende ländliche Regionen sowie Großstädte, die „aufgrund wirtschaftlicher Umbrüche Arbeitsplätze und Bevölkerung“ verloren haben.

Ursprünglich wurde die Einsetzung der Gleichwertigkeitskommission in Fachwelt und Medien vor allem als politisches Signal an die ostdeutschen Bundesländer gewertet. Als Ausgangssituation wird aber jetzt das „komplexe Bild der Lebensverhältnisse in Deutschland“ im Deutschlandatlas präsentiert, „das sich nicht an der Himmelsrichtung oder an einem Stadt-Land-Gegensatz orientiert, aber die Ungleichgewichte deutlich macht“. Diese erfreulich klare Lagebeurteilung erzeugt eine große Erwartungshaltung, wie der Bund künftig darangehen will, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist die Empfehlung des „Plans für Deutschland“ wichtig, dass sich die Unterstützung an alle strukturschwachen, d. h. ländliche wie städtische, Regionen in allen Bundesländern richten soll.

Wenig überraschend ist, dass der Plan die hohen Erwartungen, die eigentlich an die gesamte Kommission gerichtet waren, nur begrenzt erfüllen kann. Kritisch sieht das ARL-Präsidium vor allem folgende Punkte:

  • Hauptproblem ist, dass der Plan eine Fülle von Empfehlungen quer durch die Fachpolitiken gibt, die aber nicht durchweg in der Bundesregierung abgestimmt oder gar mit konkreten Finanzierungsansätzen unterlegt sind. Das gilt auch für die Empfehlungen an die Länder, die ebenfalls deutlich weniger Gewicht haben als eigene Zusagen der Länder.
     
  • Erst die Zukunft wird zeigen, ob sich die „starken“ Ressorts wie etwa die Verkehrspolitik künftig stärker von raumordnerischen Zielsetzungen und der Koordinierung von Planungen, Maßnahmen und Finanzmitteln leiten lassen als bisher und ob tatsächlich alle Maßnahmen der Bundespolitik bezüglich ihres Beitrages zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse auf den Prüfstand kommen.
     
  • Beispielhaft zeigen die Ausführungen zur Digitalisierung und zur Mobilität, wie breit diskutierte Versäumnisse und Handlungserfordernisse thematisiert werden. Dabei werden etwa zur Mobilität interessante Empfehlungen zu flächendeckenden Mobilitätsangeboten und zur Prüfung von „Mindesterreichbarkeiten für zentrale Einrichtungen der Daseinsvorsorge“ gegeben, doch werden auch diese nicht mit Finanzierungszusagen unterlegt oder müssten ohnehin von den Ländern umgesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund hat das ARL-Präsidium mit besonderem Interesse die Punkte zur Kenntnis genommen, bei denen sich der Bund selbst in die Pflicht nehmen will. Das gilt ganz besonders für die Anregung, „der Bund sollte die Raumordnung mit einem eigenständigen Förderinstrument unterlegen, um gezielt Impulse in Regionen mit besonderem Handlungsbedarf geben zu können.“. Dieses wird in dem Papier der drei Kabinettsmitglieder aber nicht weiter konkretisiert. Dabei besteht ein großes Problem gerade für die Raumordnung auf Ebene der Länder und der Regionen darin, dass sie nicht selbst über finanzielle Mittel zur Umsetzung ihrer Ziele verfügt, sondern hier stets in einer Konkurrenz zu den mit eigenen Finanzmitteln ausgestatteten oder EU-Fördermittel verwaltenden Fachbehörden steht.

Interessant ist auch die Empfehlung, „der Bund sollte die von den Ländern als Versorgungszentren festgelegten sogenannten Zentralen Orte stärken.“ So erfreulich die Betonung des zentralörtlichen Systems ist, so wenig wird erkennbar, welche konkreten Maßnahmen dahinterstehen. Damit bleibt der Plan deutlich hinter den etwa von Schleswig-Holstein und dem Beirat für Raumentwicklung geforderten Mindeststandards bei der Ausstattung der Zentralen Orte zurück, die natürlich ebenfalls mit konkreten Finanzierungsaussagen unterfüttert werden müssten.

Auch die übrigen Aussagen des Plans zur Raumordnungspolitik im engeren Sinne bleiben sehr vage, wenn etwa eine „flexiblere Nutzung der Möglichkeiten der Raumordnung“ angekündigt wird und den Ländern empfohlen wird, die Instrumente der Raumordnung besser zu nutzen und Planungsprozesse zu beschleunigen. Ohne Zweifel muss sich die Raumordnung immer auch das nötige Maß an Flexibilität erhalten, doch liegt das Problem in der Praxis eher in Hindernissen bei der konsequenten Anwendung ihrer Ziele, um beispielsweise eine dezentrale Handelsstruktur mit örtlicher Grundversorgung zu erhalten und der von vielen Menschen als Zerstörung ihrer Heimat wahrgenommenen Zersiedelung Grenzen zu setzen.

Insgesamt sieht das ARL-Präsidium in dem neuen „Plan für Deutschland“ trotz aller offenen Fragen einen großen Mehrwert, da zentrale raumordnerische Fragen auf höchster Ebene politisch thematisiert und breit in die Öffentlichkeit kommuniziert werden.

Die Akademie sieht nach diesem Auftakt nicht nur den Bund, sondern auch die Länder und die regionalen Planungsträger in der Pflicht, dieses öffentliche Interesse aufzugreifen und noch deutlicher zu zeigen, welche wichtige gesellschaftliche Aufgabe die Raumordnung hat und welchen Beitrag sie für die Lebensqualität in allen Teilräumen und zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnissen leistet. Die Akademie mit ihrem großen interdisziplinären Netzwerk aus Wissenschaft und Praxis sieht sich dabei als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft in der Pflicht, diese Arbeit aktiv zu begleiten.

Sie wird den „Plan für Deutschland“ und seinen umfangreichen Anlagenteil noch intensiver analysieren und ihre Möglichkeiten und Kompetenzen aktiv einbringen, um einen ressortübergreifenden raumordnungspolitischen Ansatz von Bund und Ländern gezielt zu unterstützen.

In diesem Zusammenhang möchten wir die Gelegenheit nutzen und Sie noch auf zwei unserer Tagungen aufmerksam machen, die sich dem Thema „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ vertiefend widmen: