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Entwicklungen jenseits der Zentren und Achsen?

Frühjahrstagung der LAG Berlin / Brandenburg / Mecklenburg-Vorpommern am 12./13. März 2015 in Neustrelitz

Überall versuchen Städte und Regionen, Standortfaktoren und Lagekriterien zu verbessern, um im Konzert der Metropolregionen mitzuspielen. Wie steht es aber um diejenigen, die jenseits der Zentren und Achsen liegen und daher (zumindest aus außenstehender Perspektive) von Wachstums- und Entwicklungsprozes - sen abgekoppelt sind? Und wie kann mit neuen Lücken im Netz umgegangen werden?

Oasen oder Ödland: Welche Perspektiven haben diese Zwischenräume aus Sicht der Raumordnung, wie entwickeln sie sich? Und welche raumpolitischen Inst - rumente sind zur Stabilisierung dieser Räume geeignet? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der Frühjahrstagung der Landesarbeitsgemeinschaft Berlin / Brandenburg / Mecklenburg-Vorpommern.

Ziel der Frühjahrstagung war es, Denkanstöße für eine zukünftige raumbezogene Politik zu geben, die über das gegenwärtige raumplanerische Instrumentarium hinausreicht. Im Kern wurde daher das Handeln der öffentlichen Akteure thematisiert und es wurden Konzepte wie Daseinsvorsorge, Gleichwertigkeit, Zugänglichkeit und Erreichbarkeit diskutiert.

Regionale Flächennutzungspläne und Regionalstrategien

Die Zukunftsperspektiven nichtzentraler Teilräume in Nordostdeutschland sind sowohl Gegenstand der lokalen als auch der überörtlichen Politik. So wird derzeit in Mecklenburg-Vorpommern das Landesraumentwicklungsprogramm 2015/16 erarbeitet. Dort ist eine neue Raumkategorie vorgesehen. Mithilfe multikriterieller Verfahren werden sogenannte „Ländliche Gestaltungs - Räume“ identifiziert. Diese stehen aufgrund des erheblichen Rückgangs und der Alterung der Bevölkerung vor besonderen Herausforderungen. Deshalb stand auf der Tagung der Umgang mit der bisherigen Siedlungsstruktur ebenso im Fokus wie die Gewährleistung einer tragfähigen Infrastruktur und somit die Stabilisierung einer nachhaltigen Raumstruktur. Hierfür sollen Maßnahmen der Kommunikation, Innovation und Kooperation im Vordergrund stehen. Weiterhin sollen zur Stabilisierung der „Ländlichen GestaltungsRäume“ neue Instrumente zum Einsatz kommen, unter anderem der Regionale Flächennutzungsplan. Im Gegensatz zu metropolitanen Räumen wie im Rhein-Main-Gebiet oder im Ruhrgebiet ist dieser in ländlichen Räumen noch nicht angewendet worden. Ziel ist es dabei, gesamte Nahbereiche zu überplanen. Einige Gemeinden erhalten dabei zum ersten Mal nach der Wende überhaupt einen Flächennutzungsplan. Ebenso wird diskutiert, ob beim Bau neuer Infrastruktureinrichtungen, z. B. Haltestellen des ÖPNV, in allen Landesteilen die gleichen Standards erforderlich sind oder ob etwa die Standards in ländlichen Teilräumen gelockert werden können. Da viele der in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der unterschiedlichen Teilräume nicht vom Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung des Landes Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt werden können, sind die anderen Ressorts in das Vorgehen eingebunden.

Aktionsprogramm regionale Daseinsvorsorge

Gegenüber den Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern liegt der Handlungsschwerpunkt des Modellvorhabens der Raumordnung (MORO) „Aktionsprogramm regionale Daseinsvorsorge“ auf regionalen und inter - kommunalen Aktivitäten. Ziel des Programms ist die Erarbeitung von Regionalstrategien zur Daseinsvorsorge in 21 ländlichen Modellregionen, um einen Beitrag zur Umsetzung des MKRO-Leitbildes „Daseinsvorsorge sichern“ zu leisten. Ein interessanter methodischer Ansatz des MORO ist die Typisierung von Gemeinden durch die Akteure. Darauf aufbauend wurden – ebenso „von unten“ – passgenaue Strategien und Instrumente erprobt. Mit den Regionalstrategien wurden in vielen Regionen die Grundlagen für die Weiterentwicklung der Regionalpläne geschaffen. Informelles Vorgehen zur Stabilisierung des Raumes und formelle Raumplanung wurden entsprechend miteinander verknüpft. Insbesondere im Infrastrukturbereich wird das Programm als erfolgreich angesehen, weil sich die beteiligten Akteure in den Regionen auf gemeinsame Aktivitäten verständigt haben.

Gefahren lokaler Programmorientierung

Lokale Ansätze zur Stabilisierung peripherer und ländlicher Teilräume setzen ebenfalls auf kooperatives Vorgehen. So formulierten im Modellvorhaben „LandZukunft“ lokale Akteure gemeinsame Ziele, insbesondere zur wirtschaftlichen Stabilisierung. Entsprechend standen die Förderung der regionalen Wertschöpfung und die Sicherung von Arbeitsplätzen im Vordergrund. Auf der Frühjahrstagung wurde allerdings die Programmorientierung kritisch diskutiert: Lokale Akteure sollen zwar selbstständig Ziele formulieren, dieser Zielfindungsprozess droht aber von den Zielen und Richtlinien der Förderprogramme überprägt zu werden. Dies gefährdet das autonome Handeln im Sinne des Art. 28 II GG. Darüber hinaus läuft ein solches Vorgehen Gefahr, dass die Entscheidung über die Projektförderung an den gesetzgebenden Instanzen vorbei und somit nicht mehr demokratisch erfolgt. Zudem wurde auf der Tagung deutlich, dass nicht für jeden Ortsteil und jeden peripheren Raum eine neue Nutzung gefunden werden kann. Die Bedeutung kann nicht immer erhalten, die Siedlungsstruktur nicht immer stabilisiert werden. Bei einigen Ansätzen kann aber auf frühere Konzepte zurückgriffen werden, wie das Beispiel der Dorfläden als soziale „Retroinnovation“ zeigt. Entsprechend werden auch Maßnahmen zur Stabilisierung auf niedrigerem Ausstattungsniveau ergriffen.

Stabilisierung durch Kooperation

Podiumsdiskussion zur Zukunft peripherer Räume // (c) Christian StraußDie Zukunft der Räume zwischen den Zentren und Achsen: In Nordostdeutschland ist dies oftmals mit der Herausforderung verbunden, Ziele, Strategien und Maßnahmen zur räumlichen Stabilisierung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu ergreifen. Die auf der Tagung präsentierten und diskutierten Projekte und Prozesse zeigten eine Vielfalt innovativer Inhalte und Instrumente – in der Not entstehen offen - sichtlich auch kreative Formen des Umgangs mit dem räumlichen Wandel. Dabei haben die Räume zwischen den Zentren und Achsen ganz unterschiedliche Probleme und dementsprechend auch unterschiedliche Zukunftsperspektiven. Um diesem Umstand gerecht zu werden und passgenaue Ziele und Maßnahmen für die unterschiedlichen Gemeinden und Räume festlegen zu können, werden neue Raumtypen entwickelt. Die Vorgehensweise ist dabei unterschiedlich – sie erfolgt entweder „von oben“ oder „von unten“. Wichtig erscheint hierbei die Unterscheidung: In welchen Themenfeldern ist es möglich, die nichtzentralen Räume durch Kooperationen auf der lokalen Ebene zu stabilisieren? Wo ist im Gegensatz dazu die Unterstützung des Landes erforderlich? Aufgrund der Ortskenntnis wissen viele lokale Akteure, welche Maßnahmen zielführend sind. Dies sollte allerdings nicht dazu führen, dass sich überörtliches Handeln „aus der Fläche zurückzieht“.

Schlüsselfaktoren zur Stabilisierung von Räumen sind demnach horizontale und intersektorale Kooperationsprozesse zwischen den Akteuren vor Ort sowie zwischen gemeindlichen und überörtlichen Akteuren. Das Beispiel der Bundesgartenschau 2015 im Havelland zeigt, dass innovative Konzepte miteinander kooperierender Gemeinden auch gegen den anfänglichen Widerstand der überörtlichen politischen Ebenen zum Erfolg führen können. Jedoch steht die kommunale Ebene im Umgang mit den Zwischenräumen zugleich vor der Herausforderung, dass sie immer mehr Aufgaben bewältigen muss, während ihre finanziellen Spielräume immer enger werden. Vor dem Hintergrund des de - mografischen Wandels sind hier zukünftig ein engerer Ausgleich und eine intensivere Zusammenarbeit zwischen der kommunalen, regionalen und Landesebene erforderlich.

Mut zur Lücke!

Die Beschäftigung mit Zwischenräumen zeigt eine große teilräumliche Vielfalt. Dies gilt auch für die Entwicklung innerhalb der Städte. Selbst die „wachsende Stadt“ Berlin entwickelt sich nicht an allen Stellen mit gleicher Dynamik. Und Neustrelitz zum Beispiel ist in einer guten Stunde mit der Bahn vom Berliner Hauptbahnhof aus zu erreichen und liegt somit auf einer Achse. Liegt Neustrelitz also eher im Zentrum oder in der Peripherie? Es gilt, die räumlichen Aussagen über Oasen und Ödland zu schärfen, räumlich zu differenzieren und im Laufe der Zeit zu überprüfen. Dies ermöglicht und erfordert anschließend einen passgenauen Umgang mit den Teilräumen. Nicht jeder dieser Teilräume zwischen den Zentren stellt ein räumliches Problem dar. Im Gegenteil, die Tagungsteilnehmer sprachen sich für den „Mut zur Lücke“ aus. Zu diesem Thema besteht Forschungsbedarf. Gerade vor dem Hintergrund der Aktivitäten im Rahmen der „Zukunftsstadt“ stehen in Deutschland gegenwärtig ländliche Regionen nicht im Vordergrund. Dabei haben „Bioenergiedörfer“ und ähnliche Projekte in vermeint - lich innovationsfernen Räumen gerade im Hinblick auf die Energiewende viele Innovationen vorzuweisen. Ländliche Räume sollten daher ebenso intensiv unter - sucht werden wie die Verflechtungen zwischen ruralen und urbanen Räumen.