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Der Doktortitel: Wissenschaftliche Qualifikation als Eintrittskarte für die Praxis?

Promovieren ist weit mehr als eine Qualifikation für die wissenschaftliche Laufbahn an einer Hochschule. Statistiken zeigen, dass 4/5 derjenigen, die einen Doktortitel erworben haben, ihren weiteren Berufsweg außerhalb des Wissenschaftsbetriebs gehen (Spiegel Online 2013). Die Promotionszeit besteht insofern für viele aus Lehrjahren mit einer überwiegend forschenden Tätigkeit, dennoch werden in dieser Zeit – bewusst oder unbewusst – die Weichen für eine praxisbezogene Karriere in der Wirtschaft, Verwaltung, im gemeinnützigen Bereich oder für eine Selbstständigkeit gestellt.

Erfahrungsberichte aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft

Um bewusster mit diesem Umstand umzugehen, lud das Organisationsteam der ARL-Geschäftsstelle zum diesjährigen 5R-Doktorandentreffen am 28. und 29. Oktober 2013 drei Gäste ein, die unterschiedliche Wege für die Laufbahn nach der Promotion aufzeigten. Phillip Goltermann von Dress & Sommer brachte Erfahrungen aus der Immobilienbranche mit. Selbst nicht promoviert, aber berufener Professor für Projektentwicklung und -management im Lehrbetrieb der Fachhochschule Lübeck, unterstützt er Promotionen im eigenen Unternehmen. Dr. Stephan Löb begann eine klassische Wissenschaftskarriere an der Leibniz Universität Hannover mit der Einbindung in vielfältige Forschungsprojekte. Nach der Promotion gab es einige Umwege, die ihn letztendlich zu einer leitenden Stelle im Referat Raumordnung und Landesentwicklung des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz führten. Dr. Marion Klemme entschied sich nach dem Studium bewusst, die Praxis in einem Planungsbüro kennenzulernen, um dann aber wieder die Chance zu ergreifen, in den universitären Bereich zurückzukehren. Nach einigen Jahren der Lehr- und Forschungstätigkeit an der RWTH Aachen und der Universität Münster ist sie jetzt Koordinatorin für Nachhaltigkeitsstrategien am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Was kann die Promotion für die Praxis bieten?

Die Promotion stellt nach Ansicht der Gäste eine wichtige Lernphase dar, aus der ein großer Erfahrungsschatz mit Praxisrelevanz entstehen kann. Zunächst kann die Doktorarbeit ganz spezifisch zur Expertin/zum Experten für ein bestimmtes Thema qualifizieren. Das vertiefte Wissen über Fakten und Zusammenhänge im eigenen Forschungsbereich kann wichtige Anhaltspunkte für die Praxis bieten. Darüber hinaus besitzen Promovenden im Allgemeinen ein hohes Maß an Selbstständigkeit und haben die Fähigkeit, sich schnell in neue Themengebiete einzuarbeiten, strukturiert zu arbeiten und Zusammenhänge schriftlich adäquat darzustellen. Sie sind es gewohnt, Aufgaben aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, also vielfältige Möglichkeiten zu sehen, anstatt der eingeschränkten Perspektive eines „Bedenkenträgers“ zu folgen. Zudem wird in umfangreichen Forschungsprojekten mit einer Vielzahl an Forschungs- und Praxispartnern ein hohes Maß an Koordinations-, Team- und Anpassungsfähigkeit gefordert.

Welche Hindernisse schafft eine Promotion für den Weg in die Praxis?

Allerdings mussten die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Gespräch auch mit frustrierenden Aussagen zurechtkommen. Der Doktortitel, so der Eindruck, ist nicht unbedingt eine wichtige Eintrittskarte für interessante Stellen außerhalb der Wissenschaft. Von Bedeutung ist er besonders, wenn es um herausragende Führungspositionen geht. Für alle anderen Stellen ist der Titel entweder weniger von Belang oder im schlimmsten Fall sogar hinderlich, weil potenzielle Vorgesetzte meist keine Mitarbeiter einstellen wollen, die höher qualifiziert sind als sie selbst. Zudem fehlen durch die Zeit der Promotion einige Jahre praxisbezogener Berufserfahrung, vor allem, wenn Doktoranden direkt nach dem Abschluss des Studiums in die Promotion eingestiegen sind.

Den Weg in die Praxis bewusst vorbereiten

Mindmap Berufs(wieder)einstieg für Promovierende in den Raumwissenschaften. Zusammengefasste Ideen aus der Podiumsdiskussion beim 5R-Dokotrandentreffen in Hannover, 28./29.10.13, Quelle: Sara Reimann 2013.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf Arbeitgeberseite gibt es also z. T. Vorbehalte, wenn es um die Fähigkeiten von Promovierten geht:

Theorielastigkeit, Praxisferne, Einzelkämpfertum, intellektuelle Höhenflüge und fehlendes pragmatisches Handeln werden vermutet. Diesen Vorurteilen gilt es etwas Konstruktives entgegenzusetzen. Um den Einstieg in die Praxis zu meistern, ist vor allem ein hohes Maß an Selbst-Bewusstsein wichtig – nicht im Sinne von Durchsetzungskraft, sondern dahingehend, die eigenen Kompetenzen und Interessen genau zu kennen und kommunizieren zu können. Andere vorbereitende Schritte, die schon während der Promotion verfolgt werden können, zeigt die Abbildung. Ihnen gemeinsam ist, dass sie die Option eröffnen oder offenhalten sollen, nach der Promotion beruflich in Branchen außerhalb der Wissenschaft das Ruder in die Hand zu nehmen. Sich dabei breit aufzustellen und verschiedene „Andockpunkte“ für das eigene Fachwissen und für Kompetenzen zu finden, wird sicherlich helfen, um die richtige Gelegenheit zu erkennen, sich ins kalte Wasser zu stürzen.

Förderung durch 5R, Leibniz-Gemeinschaft und an den Universitäten

Obwohl die wissenschaftliche Postdoc-Förderung im 5R-Netzwerk, in der Leibniz-Gemeinschaft und an den Universitäten den Schwerpunkt bildet, gibt es von institutioneller Seite auch kleine, aber feine Ansätze, um Wege in die Praxis zu eröffnen. Nach den Leitlinien der Leibniz-Gemeinschaft gehört zu den Aufgaben leitender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler z. B. „die aktive Kontaktvermittlung zu bestehenden Kooperationspartnern und zu Alumnae und Alumni, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Hospitationen auch außerhalb des Wissenschaftssystems zu ermöglichen. […] Darüber hinaus sollen vielfältige Coaching-Möglichkeiten zum Thema berufliche Neuorientierung sowie Career Days angeboten werden“ (Leibniz-Gemeinschaft 2013: 9).

Einige praktische Förderbeispiele:

  • Mentoring-Programm ARL: Ziel ist es, junge Frauen beim Start ins Berufsleben und bei der weiteren beruflichen Entwicklung zu unterstützen (www.arl-net.de/projekte/mentoring).
  • Alumni IRS: Das IRS bietet seinen Doktoranden eine Alumni-Datenbank, damit sie mit ehemaligen IRS-Mitarbeitern Kontakt aufnehmen können. Das Heft No 76 der Reihe IRS aktuell (Sept. 2013) ist dem Thema „Nachwuchsförderung“ gewidmet.
  • Fortbildungsangebote Graduiertenakademie der Leibniz Universität Hannover: Angebote von Berufscoaching, über Mentoring bis hin zu Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern aus der Wirtschaft (www.graduiertenakademie.uni-hannover.de).

Literatur:


Hintergrund: Das 5R-Doktorandentreffen wird jährlich reihum von Doktoranden für Doktoranden durchgeführt. In diesem Jahr übernahmen die Doktoranden der ARL-Geschäftsstelle diese Aufgabe: Judith Bornhorst, Lisa Marquardt, Lena Neubert, Sara Reimann, Anne Ritzinger und Timm Wiegand.