Mobilität, Erreichbarkeit und soziale Teilhabe
Die Möglichkeit zur Teilnahme an außerhäuslichen Aktivitäten (= Teilhabe) ist von größter Bedeutung für die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Funktionsfähigkeit von Gesellschaften, wie sich nicht zuletzt in den ‚Lockdowns‘ der Corona-Krise zeigt. Virtuelle Aktivitäten in Beruf, Bildung, Konsum, Freizeit, Familie und anderen Sektoren können physische Kopräsenz allenfalls teilweise ersetzen. Soziale Teilhabe ist deshalb mit Mobilität und zeitlich-räumlichen Erreichbarkeiten verbunden. Umgekehrt können Einschränkungen der Erreichbarkeit und Mobilität zu sozialer Exklusion und in der Folge auch zu eingeschränkter Lebensqualität führen. Die Untersuchung entsprechender Zusammenhänge ist seit rund zwei Jahrzehnten in der Verkehrs- und Raumforschung zu einem breiten Forschungsfeld angewachsen, das eng mit den Prinzipien der Gleichheit und Gerechtigkeit im Zugang zu Aktivitäten verbunden ist. In der Planungspraxis wird die Sicherung der räumlichen Dimensionen sozialer Teilhabe seit langem mit verschiedenen Leitbildern, Grundsätzen und Instrumenten verfolgt (Sicherung der Daseinsvorsorge, gleichwertige Lebensverhältnisse, Zentrale-Orte-Prinzip, ABC-Planung (Niederlande), Accessibility Planning (UK)). Der Arbeitskreis nimmt eine multiperspektivische Sicht auf die Verknüpfungen von Mobilität und Erreichbarkeit mit den vielfältigen Dimensionen sozialer Teilhabe ein. Er legt kein unidirektionales Kausalmodell zugrunde, sondern sieht die genannten Begriffe als wechselseitig verknüpft an. Er betrachtet hierfür räumliche, zeitliche und soziale Aspekte von Mobilität und Erreichbarkeit.
Arbeitsschwerpunkte
- Inventarisierung bestehender Ansätze; Betrachtung älterer und verwandter Konzepte
- Herausarbeitung des Mehrwerts der raumwissenschaftlichen Behandlung von Mobilität und sozialer Teilhabe
- Analyse von Veränderungen in sowie Wechselwirkungen zwischen individueller Erreichbarkeit und persönlichen Barrieren im Zusammenhang von Gerechtigkeit
- Analyse von Zusammenhängen zwischen objektiven und subjektiven Erreichbarkeiten im Kontext sozialer Teilhabe
- Mobilität und Teilhabe in Zeiten von Corona:
- veränderte (erzwungene) Verhaltensweisen und ihre Auswirkungen auf Fragen der Verkehrswende
- Gesundheitsrisiken durch Zwangsmobilität (insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln) für diejenigen Berufsgruppen, die an physische Mobilität und Kopräsenz gebunden sind
- mögliche Verschärfung von sozialen Ungleichheiten in der Mobilität
- ungleiche Nutzbarkeit digitaler Möglichkeiten (Home Office, Home Schooling, Corona-App)
Publikationen
- Dangschat, J. S. (2020): Nachhaltige Mobilität – Herausforderungen der Stadtentwicklung. In: Nachhaltige Industrie (2), 40-43.
- Dangschat, J. S. (2021): Die Mobilitätswende findet im Kopf statt! In: Die Wohnungswirtschaft (10), 2-3.
- Dangschat, J. S. (2021): Verkehr und Mobilität. Übersehene Dimensionen der sozialwissenschaftlichen Stadt- und Regionalforschung. In: Kogler, R.; Hamedinger, A. (Hrsg.): Interdisziplinäre Stadtforschung. Themen und Perspektiven. Bielefeld, 309-334.
- Dangschat, J. S. (2022): Verkehrswende – sozial und räumlich ausgewogen. In: Journal für Mobilität und Verkehr (14), 2-10.
- Dangschat, J. S.; Millonig, A. (2023): Die Mobilitätswende kann nur gelingen, wenn wir die Menschen in ihrer Differenziertheit verstehen. In: Barth, B.; Flaig, B. B.; Schäuble, N.; Tautscher M. (Hrsg.): Praxis der Sinus-Milieus©. Wiesbaden. Im Druck.
- Hölzel, D. J.; Scheiner, J. (2022): Mobilität und Segregation in Raum und Zeit: Implikationen für soziale Teilhabe und aktuelle Forschungsfragen. In: Journal für Mobilität und Verkehr (14), 11-17.
- Mattioli, G.; Büchs, M.; Scheiner, J. (2023): Who flies but never drives? Highlighting diversity among high emitters for passenger transport in England. In: Energy Research & Social Science 99.
- Rozynek, C.; Hölzel, D. J. (2022): Mobilität als Voraussetzung für Begegnungen. Ein Beitrag zum Thema soziale Teilhabe. In: Nachrichten der ARL 52 (02-03), 80-82.
- Rozynek, C.; Lanzendorf, M. (2023): How does low income affect older people’s travel practices? Findings of a qualitative case study on the links between financial poverty, mobility and social participation. In: Travel Behaviour and Society (30), 312-324.
- Rozynek, C.; Mattioli, G.; Aberle, C. (2023): Was darf die ÖPNV-Nutzung im Kontext sozialer Teilhabe kosten? Ideen für Indikatoren der ÖPNV-Erschwinglichkeit. Frankfurt am Main. = Arbeitspapiere zur Mobilitätsforschung Nr. 35.
- Stickler, A.; Dangschat, J. S.; Berger, M. (2021): Automatisiertes und vernetztes Fahren im Kontext einer nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätswende. In: Mitteregger, M.; Bruck, E. M.; Soteropoulos, A.; Stickler, A.; Berger, M.; Dangschat, J. S.; Scheuvens, R.; Banerjee, I. (Hrsg.): AVENUE21. Politische und planerische Aspekte der automatisierten Mobilität. Heidelberg, 17-24.
- Busch-Gertseema, A.; LeBris J.; Mark, L.; Matthes, G.; Stark, K. (2023): Ist das gerecht? Eine Bewertunshilfe für lokale Mobilitätsmaßnahmen. In: Internationales Verkehrswesen (75), 28-31.
In Kürze erscheint das Positionspapier des Arbeitskreises mit dem Titel „Mobilität, Erreichbarkeit und soziale Teilhabe – für eine gerechtere Raum- und Verkehrsentwicklung“
Der Entwurf ist bereits als PDF verfügbar.
Veranstaltungen
- Hille, C.; Rozynek, C. (2023): Finanzielle Armut, Mobilität und soziale Teilhabe. Fachsitzung beim 62. Deutschen Kongress für Geographie, Frankfurt am Main, 21.9.2023.
- Scheiner, J. (2023): Zwischen Erreichbarkeitsexplosion und Mobilitätsarmut – Gedanken zu Mobilität, Erreichbarkeit und Teilhabe. Keynote Vortrag, 12. Deutsche Konferenz für Mobilitätsmanagement, Düsseldorf, 20.bis 21. November 2023.
- ARL-Kongress in Leipzig, Juni 2023.
Bewertungshilfe für lokale Mobilitätsmaßnahmen
Diese im Zuge des Arbeitskreises entwickelte Bewertungshilfe wird in einem Artikel im Internationalen Verkehrswesen (Ausgabe 4/2022) mit dem Titel "Ist das gerecht? Eine Bewertunshilfe für lokale Mobilitätsmaßnahmen" detailliert beschreiben und kann hier heruntergeladen und gerne weiterentwickelt werden: DOWNLOAD
Autorinnen: Laura Mark, Annika Busch-Geertsema, Jessica LeBris, Gesa Matthes, Kerstin Stark