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LAG BBMV Herbsttagung 2021

Was bewegt den Nordosten?
Zukünftige Forschungs- und Handlungsbedarfe.

Bericht über die Herbsttagung 2021 der LAG Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern

Von Julia Diringer und Christian Strauß

Die LAG-Herbsttagung 2021 widmete sich aktuellen und zukünftigen Forschungs- und Handlungsbedarfen hinsichtlich der räumlichen Entwicklung im Nordosten aus Perspektive der Mitwirkenden der Landesarbeitsgemeinschaft.

Ziel der Herbsttagung 2021, durch die Dr. Christian Strauß führte, war es, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in der LAG-Region über aktuelle und zukünftige Forschungs- und Handlungsbedarfe hinsichtlich der räumlichen Entwicklung im Nordosten zu vertiefen. Dabei stand kein konkretes Thema im Vordergrund, vielmehr beschäftigte sich die Tagung mit den aktuellen Themen der Mitwirkenden in der LAG. So sollte das LAG-Netzwerk gestärkt und Impulse für die LAG-Arbeit gesetzt werden.

Der Tagung lagen folgende Leitfragen zugrunde:

  • Welche Raum- und Planungsfragen im Nordosten sind derzeit von Bedeutung? 
  • Was sind die aktuellen Herausforderungen der räumlichen Entwicklung im Nordosten? Mit welchen Lösungs- und Planungsansätzen können diese überwunden werden? 
  • Welche Themen sind in 30 Jahren wichtig?

Die Energiewende in Nordost auf der kommunalen Ebene stand im Fokus des Beitrags von Eva Eichenauer (Leibniz Institut für Raumbezogene Sozialforschung / Brandenburgische Technische Universität Cottbus – Senftenberg). Ausgangspunkt für den Impuls lieferten u.a. die Ergebnisse des ARL-Forschungsberichts „Regionale Steuerung der Energiewende in Nordostdeutschlang“. Die Energieerzeugung sei heute omnipräsent und sie sei vor allem ländlich. Dabei seien die Kommunen zentrale Akteure, die in einem konfliktträchtigen Feld agierten. Hier setzte sie an und fragte: Wie können Konflikte konstruktiv bearbeitet werden und wie können widerstreitende Interessen eingebunden werden? Konfliktlinien sah sie derzeitig vor allem im ungleichen Verhältnis zwischen der Energieproduktion und dem vergleichsweise geringen Energieverbrauch in Nordost, den Flächenkonkurrenzen gegenüber Landwirtschaft und Siedlungsentwicklung sowie der Akzeptanz. Ihr Zugang, um mit diesen Konflikten umzugehen, lag in der Betrachtung der Konflikte aus der Gerechtigkeitsperspektive, die unter anderem Verteilungsgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit und Anerkennungsgerechtigkeit umfasst. Gerechtigkeitsfragen betrachtete Frau Eichenauer anhand des Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern (BüGembeteilG M-V). Das Gesetz verpflichtet Anlagenbetreiber dazu, umliegende Gemeinden und Anwohnende an den Erträgen aus Energieerzeugung zu beteiligen. In einer Studie untersuchte sie das Gesetz aus Perspektive der Praxisakteure. Diese betonten, dass die finanzielle Beteiligung für die Kommunen garantiert und eine gerechte Verteilung der Lasten gewährleistet sein muss. Aber es zeigten sich auch Schwachstellen im Gesetz: die zeitliche Entkopplung von Anlagenbau und Zahlungen, das notwendige Expert*innenwissen sowie das Investitionsrisiko. Eine umfassende Zusammenstellung der Erkenntnisse bietet das IRS Policy Paper „Gute Bedingungen für lokale Wertschöpfung aus Windkraftanlagen“.

Vor dem Hintergrund der Fortschreibung des Landesraumentwicklungsprogramm (LEP) Mecklenburg-Vorpommer skizzierte Sarah Wieschmann (Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern) fünf Themenschwerpunkte, die nach ihrer fachlichen Sicht für die Landesentwicklung an Relevanz gewönnen. 

  • Die maritime Raumordnung werde aufgrund der wachsenden Nutzungsansprüche an die Küstenzonen und das Küstenmeer bedeutender. Hier gelte es im Sinne der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung weiterhin die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang zu bringen. Dafür sollen etwa konkrete Auswirkungen auf das Ökosystem der Ostsee bei Störfällen im Rahmen der Gewinnung von Erdgas und Erdöl im Küstenmeer Mecklenburg-Vorpommerns wissenschaftlich analysiert werden.
  • Im September 2021 ist der Bundesraumordnungsplan „Hochwasserschutz“ in Kraft getreten. Die Folgen für die Landesplanung gelte es zu prüfen.
  • Der Ausbau der Erneuerbaren Energien stelle Anforderungen an die Landes- und Regionalplanung. Rasanten technischen Entwicklungen stünden verhältnismäßig lange Planungshorizonten gegenüber. 
  • Mobilität und Erreichbarkeit seien zentrale Themen der ländlichen Entwicklung. Vor allem in den Tourismusregionen seien die schwankenden Mobilitätsbedarfe herausfordernd. Wichtige Impulse lieferten Modell- und Forschungsvorhaben, z.B. Interreg Projekt „MARA – Mobility and Accessibility in Rural Areas“.
  • Die interkommunale Kooperation in den Stadt-Umland-Räumen Mecklenburg-Vorpommerns diene als wichtiges Instrument zu Abstimmung, etwa über die Siedlungs-, Einzelhandels-, Infrastruktur- und Freiraumentwicklung und soll für den landesgrenzenübergreifenden Stadt-Umland-Raum Lübeck wieder aufgenommen werden. Auch die Ländlichen GestaltungsRäume böten in Mecklenburg-Vorpommern Möglichkeit zur Kooperation von Kommunen, vor allen von Nahbereichen mit besonderer Strukturschwäche. 

Auf den Blick in die Landesplanung folgte der Blick in die kommunale Planung und Entwicklung der brandenburgischen Stadt Cottbus. Stefan Simonides-Noack (Stadtverwaltung Cottbus) erläuterte zunächst geografische und historische Einflussfaktoren in Cottbus: die periphere Lage der Stadt in der Metropolregion, die jedoch im europäischen Entwicklungskorridor II VIA REGIA liegt, die jahrelang stagnierende Einwohner*innenentwicklung, die seit der politischen Wende erstmals wieder durch Wachstumsprognosen abgelöst werden sowie die Anforderungen an die Innenstadtverdichtung und Aufwertung bei gleichzeitigem Rückbau nicht mehr zeitgemäßer Gebäudestrukturen.

Eine Chance und zugleich anspruchsvolle Aufgabe ergebe sich für die Stadt aus dem im Jahr 2020 verabschiedeten „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“. Darüber erhält Cottbus in den kommenden Jahren Fördermittel in Höhe von 2 Mrd. Euro. Ein Entwicklungsschwerpunkt unter den mit dem Strukturwandel verbundenen rund 40 Teilprojekten sei der Cottbuser Ostsee und damit die Stärkung des Cottbuser Ostens. Hier brauche es kluge Lösungen, um z.B. den Ausbau erneuerbarer Energien (Windeignungsgebiet östlich des Sees und schwimmende PV-Anlage) mit dem Tourismus und der Naherholung am See in Einklang zu bringen.

Für die Stadtverwaltung bedeute dies kurzfristig eine Vielzahl von Planungsprozessen und Projekten einer nachhaltigen Stadtentwicklung auf den Weg zu bringen. Herr Simonides-Noack verwies dabei auch auf die notwendige Beschleunigung von Planungsprozessen. Zudem müsse die Planung Themen wie Fachkräftegewinnung, Neujustierung des Wirtschaftsstandortes, einen kooperierenden Klimaschutz und die Beteiligung der Bürger*innen adressieren. 


Prof. Dr. Daniel Schiller (Universität Greifswald, Institut für Geographie und Geologie) spitzte die Leitfrage der Tagung zu: Bewegt der Ostseeraum den Nordosten? Die räumliche Planung im Ostseeraum sei ein  Querschnittsthema zu unterschiedlichen Politikbereichen: Energie, Bioökonomie, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Tourismus und Umweltschutz.

In seinem Beitrag ging Herr Prof. Schiller auf strategische Entwicklungen und Partnerschaften im Ostseeraum ein. VASAB (Vision & Strategies around the Baltic Sea) wurde 1994 als einer der ersten Ost-West-Zusammenschlüsse gegründet. In den Jahren 2022/23 wird Deutschland den Vorsitz von VASAB innehaben. Ein Baustein sei eine Summer School für junge Planer*innen an der Universität Greifswald im August 2022, die sich der Raumentwicklung im Ostseeraum widmen wird (call for participation folgt). Impulse für die Entwicklungen im Ostseeraum gingen darüber hinaus vom EU-Programm „ESPON –BT2050: Territorial Scenarios for the Baltic Sea Region“ aus. Herr Prof. Dr. Schiller sah in den zwei Szenarien “Well-being in a circular economy” und “Growing into green-tech giants” spannende Entwicklungspotenziale. 

Die Arbeiten zum Ostseeraum sind an der Universität Greifswald am 2019 gegründeten „Interdisziplinären Forschungszentrum Ostseeraum“ (IFZO) gebündelt. In dem vom BMBF geförderten Vorhaben bearbeiten Wissenschaftler*innen der Uni in den kommenden fünf Jahren sieben Forschungscluster: geteiltes kulturelles Erbe, die Energiewende im Ostseeraum, internationale Beziehungen und Sicherheit, neue Nationalismen, Nachhaltigkeit im Ostseeraum, regionale Entwicklung in ländlichen Räumen und raum-zeitliche Muster fragmentierter Transformationen. 

Lebhafte Diskussion über die Zukunft

Die vielfältigen Impulsbeiträge bereiteten den Boden für anregende Diskussionen. Die Veranstaltungen bot Einblicke in die Debatten über die sich verändernden Treiber der räumlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, die spezifischen räumlichen Strukturen des Nordostens sowie über die Governance-Strukturen und Instrumente.  

Ein Austausch erfolgte auch über die Weiterentwicklung von Förderstrukturen, unter anderem über die Auswahlkriterien für die ländlichen Gestaltungsräume in Mecklenburg-Vorpommern und über die Möglichkeiten und Grenzen, wie Kommunen Fördermittel beantragen und sinnvoll einsetzen können. Vor allem die Förderzeiträume seien entscheidend. 

Kritisch wurde diskutiert, wie vermeintlich langsame Planungsprozess auf immer schnellere technische Entwicklung, etwa in der Energiewende, reagieren können. Im Hinblick auf die Balance zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energien und der touristischen Nutzung am Cottbusser Ostsee wurde die Frage aufgeworfen, wie die Energiewende als touristisches Potenzial kommuniziert werden kann.

Die Perspektiven aus dem Ostseeraum erinnerten die Teilnehmer*innen daran, dass der Nordosten mit den angrenzenden Regionen Deutschlands und Europas vielgestaltig verflochten sind. Daraus entstehen Herausforderungen, aber auch Chancen für die grenzüberschreitende räumliche Entwicklung. So diskutierten die Teilnehmer*innen, inwiefern zwischen den Forschungsarbeiten der Universität Greifswald im Ostseeraum und den internationalen Aktivitäten der ARL Bezüge hergestellt werden können.

Letztlich vertieften die Teilnehmer*innen auch den Umgang mit Unsicherheiten in langfristig angelegten Planungskonzepten. Welchen sinnvollen Beitrag können Gutachten, Hochrechnungen und Prognosen leisten, wenn verstärkt risiko- und resilienzorientierte Strategien entwickelt werden müssen? Dies erschwert letztlich den Blick in die Zukunft, um zu skizzieren, wie der Nordosten Deutschlands in 30 Jahren aussehen wird. Es entstehen gemeinsame und vielfältige Zukunftsentwürfe.

Ein Dank zum Schluss

Nach vier Jahren geht die geht die Amtszeit von Dr. Christian Strauß, Dr. Antje Matern und Dr. Jens Hoffmann turnusgemäß zu Ende. Abschließend bedankt sich die Lenkungsgruppe herzlich für die Zusammenarbeit mit den Mitwirkenden in der Landesarbeitsgemeinschaft.

Präsentationen