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Call for Membership für einen Ad-hoc-Arbeitskreis der ARL 2018: „Kleinstadtforschung“

Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) versteht sich als ein interdisziplinäres Forum für Wissenschaft und Praxis, in dem raum- und planungsbezogenes Wissen im Dialog generiert, reflektiert und vermittelt wird. Sie erforscht Räume als Bedingung und Ausdruck gesellschaftlicher Praxis. Organisiert ist die ARL als Netzwerk von Fachleuten für Fragen der Raumentwicklung.

Problemaufriss: Kleinstädte in der raumwissenschaftlichen Aufmerksamkeitslücke

Die Diskussionen in Wissenschaft und Planungspraxis zu Trends und Herausforderungen der Raumentwicklung der letzten Jahre waren und sind stark durch Bezugnahmen auf „global cities“, Megacities, Agglomerationsräume und „Schwarmstädte“ geprägt. Die Situation kleinerer Städte und die sie prägenden Strukturen und Trends stehen im Schatten des viel diskutierten großstädtischen Wandels und der neuen Bedeutung des Städtischen im Zeichen der Reurbanisierung. Traditionell ist Stadtforschung in Deutschland überwiegend großstadtorientiert. Dies war und ist in anderen Ländern, etwa den USA, Kanada, Frankreich und Österreich, anders. In den USA rekurriert Stadtforschung bis heute zwar auf Arbeiten der sogenannten Chicago School, doch fanden einige der grundlegenden stadtsoziologischen Arbeiten in den 1920er und 1930er Jahren gerade in klein- und mittelstädtischen Zusammenhängen statt.

Aber auch die Teildisziplinen, die sich in Deutschland aus soziologischer, geographischer oder planungswissenschaftlicher Perspektive für ländliche Räume interessieren, schenken Kleinstädten nur wenig und kaum systematische Beachtung. Weder in ihren älteren, stärker agrarwissenschaftlich orientierten, noch in ihren jün-geren (beispielsweise sozialkonstruktivistischen) Spielarten spielen urbane Strukturen eine relevante Rolle.

Zwar nahm in Deutschland nach den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen Anfang der 1990er Jahre und erneut mit der Diskussion um städtische Schrumpfungsprozesse ab etwa dem Jahr 2000 das Interesse an den Lebenszusammenhängen in Kleinstädten zeitweilig zu, doch erfolgte dies überwiegend einzelfall- oder regionalbezogen. Der Umfang wissenschaftlicher Studien und der Kreis der Kleinstadtforscherinnen und -forscher sind sehr übersichtlich geblieben. Auch die in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Themenhefte renommierter Zeitschriften zur Sammelkategorie der Klein- und Mittelstädte vermögen nur bedingt Abhilfe in Bezug auf die tradierten Wissensdefizite zu nicht-metropolitanen Siedlungstypen zu schaffen, da wahlweise generalisierte Aussagen über sehr unterschiedliche städtische Lebens- und Vergesellschaftungs-formen auf lokaler und regionaler Ebene getroffen werden oder aber sich aus den präsentierten Einzelfallstudien nur bedingt verallgemeinerbare Erkenntnisse herleiten lassen. Auch ist zu vermuten, dass sich die Herausforderungen vieler kleiner Städte oft nicht mit Lösungen meistern lassen, die sich in größeren Städten bewährt haben.

Kleinstädte fallen somit in eine systematische Aufmerksamkeitslücke der sozial- und planungswissenschaftlichen Stadt- und Raumforschung. Dies hat unter anderem zur Folge, dass sich zahlreiche stereotype Vorstel-lungen über „die“ Kleinstadt bzw. „die“ Kleinstädter ohne belastbare empirische Basis hartnäckig halten. In diesem Zusammenhang finden sich gleichzeitig Vorstellungen der Kleinstadt als Problem- und als Sehnsuchtsraum. Zwar ist in Fachöffentlichkeit und Politik in den letzten Jahren das Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, aber auch die Herausforderungen kleinerer Städte insbesondere in ländlichen Räumen gewachsen. Weiterhin aber dominiert eine Defizitperspektive, und die Funktionen, Leistungen und Potenziale von Kleinstädten bleiben unterbelichtet. Umso mehr sind evidenzbasierte Forschungen ebenso wie eine zeitgemäße Planung sowie Planungs- und Umsetzungskultur erforderlich.

Funktionen und Bedeutung von Kleinstädten

Kleinstädte sollen hier in einer ersten Annäherung als Gemeindegrößenklasse mit etwa 5.000 bis 20.000 Einwohnern und als Siedlungen mit gewissen Zentralitätsfunktionen für ihr Umland verstanden werden. Sie bieten vielfältige Funktionen als Wohn- und Versorgungs- sowie als Arbeits- und Produktionsstandorte kleiner und mittelständischer, teils hochspezialisierter Unternehmen. Kleinstädte tragen zur Aufrechterhaltung des polyzentrischen Städtenetzes und zur Vielfalt der Städtelandschaft in Deutschland bei. Viele ihrer Einwohnerinnen und Einwohner schätzen die relative Dichte von Funktionen und Gelegenheiten bei wahrgenommener räumlicher und sozialer Überschaubarkeit, welche für sie einen wesentlichen positiven Unterschied zur Groß-stadt darstellt – allerdings haben die Gebietsreformen der vergangenen Jahrzehnte die räumlichen Zuschnitte kleinerer Städte und damit die Distanzen stark verändert.

Die Bedeutung der Kleinstädte in Deutschland zeigen wenige Zahlen: Ausgehend von der Definition des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das Kleinstadt als Gemeinde eines Gemeindeverbandes oder Einheitsgemeinde mit 5.000 bis unter 20.000 Einwohnern oder mindestens grundzentraler Bedeutung mit Teil-funktionen eines Mittelzentrums definiert, beträgt ihr Anteil an den Stadt- und Gemeindetypen 46,5 %, und 29,5 % der Bevölkerung leben dort (Stand 2015).

Gleichzeitig ist die Kleinstadtlandschaft vielfältig und vielschichtig – Typologisierungsversuche scheitern regelmäßig an der Vielzahl der relevanten Dimensionen. Als erste grobe Differenzierung bietet sich die Unterscheidung von Kleinstädten in zentralen und in peripheren Lagen an. In Agglomerationsräumen bieten Kleinstädte Entlastung für Wohnen, Gewerbe und Erholung. In peripheren Lagen erfüllen sie für sich und ihr ländliches Umfeld Stabilisierungs- und Entwicklungsfunktionen. Langjährigen Funktionsverlusten stehen hier aktuell intraregionale Bedeutungsgewinne etwa im Vergleich zu den Dörfern der Umgebung gegenüber. Ein einheitliches Bild kleinstädtischer Entwicklungspfade in verschiedenen Raum- und Lagetypen ist allerdings nicht erkennbar. Differenziertere Aussagen wiederum werden durch das Fehlen systematischer vergleichender Untersuchungen verhindert.

Ziele und geplante Ergebnisse des Ad-hoc-Arbeitskreises

Das benannte allgemeine Wissensdefizit über einen für die Siedlungsstruktur in Deutschland relevanten Stadttypus bildet den zentralen Impuls für den neuen Ad-hoc-Arbeitskreis der ARL. Er möchte den Anstoß für einen breiteren wissenschaftlichen Diskurs zu Kleinstädten geben und im Bemühen um eine systematische Kleinstadtforschung eine Bestandsaufnahme bisheriger Forschungen vornehmen. Zugleich sollen Politik und Planungspraxis stärker für das Themenfeld der kleineren Städte sensibilisiert werden.

Konkret verfolgt der Ad-hoc-Arbeitskreis „Kleinstadtforschung“ drei Ziele – er möchte:

  1. Forschungslücken in der Kleinstadtforschung Deutschlands identifizieren,
  2. Querverbindungen zu benachbarten Disziplinen und Themenfeldern aufzeigen sowie
  3. die interdisziplinäre Vernetzung verbessern, um mittelfristig konkrete Projekte zur Kleinstadtforschung anzustoßen.

Im Ergebnis wird Ende 2018 ein Positionspapier „Kleinstadtforschung in Deutschland“ veröffentlicht.

Organisation

Ein ARL-Ad-hoc-Arbeitskreis hat eine Laufzeit von einem Jahr und trifft sich in diesem Zeitraum zweimal. Um in dieser kurzen Zeitspanne effektiv arbeiten zu können, sollte er maximal 10 Mitglieder umfassen. Diese leisten in der ersten Sitzung näher zu definierende Beiträge zum Gesamtergebnis des Ad-hoc-Arbeitskreises. Diese konstituierende Sitzung wird im Frühjahr 2018 (voraussichtlich 19. April 2018) stattfinden. Eine Kern-gruppe organisiert den Arbeitsprozess und Informationsfluss, um für die zweite Sitzung im November 2018 eine erste Fassung des Positionspapiers vorlegen zu können. Die Teilnahme an beiden Sitzungen ist unabdingbar für die Beteiligung am Arbeitskreis.

Der Ad-hoc-Arbeitskreis wird organisiert von:

 

  • Dr. Annett Steinführer, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Institut für Ländliche Räume, Braunschweig,
  • Lars Porsche, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn, und
  • Prof. Dr. Peter Dehne, Hochschule Neubrandenburg

Reisekosten für die Treffen werden seitens der ARL erstattet.

Bewerbung

Der Call for Membership richtet sich an Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher disziplinärer Zugänge (z. B. Soziologie, Politik- oder Verwaltungswissenschaften, Geographie), die sich mit Kleinstädten im oben definierten Sinn in Wissenschaft und Praxis beschäftigen.
Wenn Sie sich angesprochen fühlen und Interesse an einer Mitarbeit im Ad-hoc-Arbeitskreis haben, senden Sie uns bitte bis zum

5. Februar 2018

  • eine kurze Skizze (500-600 Wörter) Ihrer Forschungsinteressen im Kontext des Arbeitskreises,
  • einen kurzen Lebenslauf (maximal eine Seite),
  • bis zu drei im thematischen Kontext des Arbeitskreises relevante Publikationen (möglichst als PDF), an denen Sie maßgeblich beteiligt waren.

Bitte senden Sie Ihre Unterlagen an Dr. Martin Sondermann (ARL; E-Mail: sondermann@arl-net.de; Telefon: +49 511 34842-23). Sowohl Herr Sondermann also auch eine der drei oben genannten Kontaktpersonen stehen Ihnen für Nachfragen gern zur Verfügung.

Anhang
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