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Ausschreibung eines Forschungsauftrags: Die Große Transformation und ihre Vermittlung in der universitären Lehre

Ausschreibung

Der Förderkreis für Raum- und Umweltforschung (FRU) vergibt einen Forschungsauftrag zu folgendem Thema:

Die Große Transformation und ihre Vermittlung in der universitären Lehre

Thematischer Hintergrund des Forschungsauftrags

Globalisierungsfolgen erfordern eine Große Transformation

Globaler Wandel, Klimawandel, die globale Urbanisierung und die zunehmende urbane Diversität führen zu Herausforderungen sowohl für die Weltgesellschaft als auch für die wissenschaftliche Forschung und die universitäre Lehre.1 Die Umsetzung einer Nachhaltigen Entwicklung erfordert eine weltweite Große Transformation.2 Besonderer Handlungs- und Forschungsbedarf wird für so genannte Transformationsfelder wie z.B. die Urbanisierung konstatiert. In den Transformationsfeldern sind weitreichende Veränderungen auf vielen Gebieten erforderlich, und die Bereitstellung angemessener Infrastrukturen, die Berücksichtigung von Ressourcenverfügbarkeit und Umweltauswirkungen in Planung und Praxis, sowie Armut und soziale Ungleichheit werden nicht mehr nur als politische, sondern auch als wissenschaftliche Herausforderungen angesehen, deren Bearbeitung nicht nur neue Forschungsthemen, sondern auch neue Typen von Forschung erfordert.3

Bedarf an Forschung und Bildung mit transformativer Sichtweise

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen sind übergreifende, systemische, langfristige Forschungen mit einer transformativen Sichtweise erforderlich.4 Dies bedeutet, dass die Forschung Wege findet, wie die globalen Leitplanken und Ziele wie die Sustainable Development Goals der UN, die Nachhaltigkeits- und Klimaziele der EU und Deutschlands erreicht und bis auf die lokale Ebene ‚heruntergebrochen‘ bzw. für diese konkretisiert und u.a. durch diese umgesetzt werden können. Prioritäten sieht der WBGU (2016) in den transformativen Handlungsfeldern urbane Flächennutzung, Gesundheit und Material- und Stoffstromanalysen, da mit ihnen eine Hebelwirkung entfaltet werden kann.5

Neue Forschungskulturen und Wissensformen sind gefragt: über die Problemanalyse und die Gewinnung von Systemwissen hinaus wird Zielwissen zur Visionsentwicklung benötigt. In transdisziplinär angelegten Experimenten wie Reallaboren wird Transformationswissen geschaffen, das dann verbreitet werden bzw. in weitere Kreise der Gesellschaft diffundieren kann. Nichts weniger als der Übergang von zu einer Modus 3-Wissenschaft wird für notwendig gehalten.6

Forschung mit transformativer Sichtweise kann als Transformationsforschung betrieben werden, die „den Umbau selbst und die Bedingungen seiner Möglichkeit zum Gegenstand“ hat, oder sie kann als transformative Forschung „den Umbauprozess durch spezifische Informationen, Methoden und Technologien befördern“.7 Beide sind eng mit Transformationsbildung bzw. transformativer Bildung verbunden.

Beide Forschungstypen unterscheiden sich von tradierter Forschung insbesondere durch

  1. ihre Hinwendung zu gesellschaftlich-politischen Fragestellungen, d.h. ihren normativ-zielgerichteten bzw. werte-geleiteten Ansatz,
  2. ihren oft interdisziplinären Ansatz und eine entsprechende Projektzusammensetzung,
  3. ihren z.T. transdisziplinären Ansatz, d.h. den gleichberechtigten Einbezug von Vertreterinnen/Vertretern der Praxis, NGOs, Bürgerinnen/Bürger etc. bis in die Entwicklung der Forschungskonzeptionen hinein (co-design).8
Nachhaltigkeitsforschung mit Transformationsbezug?

Forschung für eine nachhaltige Entwicklung wird in Deutschland seit etlichen Jahren betrieben; zu nennen sind hier insbesondere die vom BMBF geförderten FONA-Projekte (FOrschung für eine NAchhaltige Entwicklung). Durch die EU wurden und werden große internationale Forschungsverbünde mit dem Ziel der Entwicklung des europäischen Forschungsraums in Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung gefördert (vgl. diverse Forschungsrahmenprogramme, HORIZON 2020). Insgesamt liegt eine große Vielfalt von Forschungsergebnissen zu Nachhaltigkeitsthemen vor. Bisher wurde jedoch nicht untersucht, welche von diesen Forschungen als Transformationsforschung bzw. als transformative Forschung im o.g. Sinne einzustufen sind, und welche der Projekte relevante Ergebnisse z.B. für das Transformationsfeld Urbanisierung erbringen.

Option für junge WissenschaftlerInnen?

Der Übergang zu den o.g. neuen Forschungstypen ist mit Risiken für die Forschenden verbunden. Dies ist besonders für junge Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, problematisch. Aus der transdisziplinären Forschung ist bekannt, dass mehr Zeit für die ‚interkulturelle‘ Verständigung zwischen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern und Praktikerinnen/Praktikern aufgebracht werden muss. Auch die jeweiligen Reputationssysteme unterscheiden sich voneinander. In einem transdisziplinären Projekt ist es schwierig, die im Wissenschaftsbetrieb inzwischen üblichen Publikationsanzahlen pro Person und Jahr in hochrangigen wissenschaftlichen Journalen zu erbringen. Mindestens ebenso schwierig ist das Verfassen von Qualifikationsarbeiten wie Promotionen oder Habilitationen in einem Themengebiet, das in einer inter- oder transdisziplinären Weise bearbeitet wird.

Transformationsbildung und transformative Bildung in universitärer9 Lehre und Selbststudium

An den Hochschulen werden „Orientierungs- und Bezugsrahmen für ‚change agents‘ von morgen geprägt“10, und zwar durch die universitäre Lehre ebenso wie durch das Selbststudium bzw. die Eigenaktivitäten der Studierenden. Deshalb sollen auch die Hochschulen Transformationsbildung und transformative Bildung bzw. transformatives Lernen in ihre Lehrprogramme aufnehmen. Grundlagen für transformatives Lernen lieferte die ‚UN-Dekade für eine Bildung für Nachhaltigkeit‘, die in Deutschland Auslöser für das Konzept ‚Bildung für Nachhaltigkeit‘ und das Konzept ‚Hochschulbildung für Nachhaltige Entwicklung‘ war, dessen Ergebnisse u.a. in Memoranden der Deutschen UNESCO-Kommission, einer Zukunftsstrategie 2015+ und einem Best-Practice-Portal vorgelegt wurden.11

Transformationsbildung reflektiert als „Bildung zur Teilhabe“ kritisch die Handlungserfordernisse und ein „globales Verantwortungsbewusstsein - und generiert ein systemisches Verständnis der Handlungsoptionen.“12 Transformative Bildung (…) generiert ein Verständnis für Handlungsoptionen und Lösungsansätze. Entsprechende Bildungsinhalte betreffen z.B. Innovationen, von denen eine transformative Wirkung zu erwarten oder bereits eingetreten ist.“13 Über die Vermittlung der drei o.g. Wissensformen hinaus gilt es, adäquate Formen des Lernens anzuwenden: ‚single-loop-learning‘ ist durch ‚double-loop-learning‘ zu ergänzen.14

Zu berücksichtigende Studiengänge sollen in ARL und FRU häufig vertreten sein; deshalb werden primär Raum- und Stadtplanung, Landschafts- und Umweltplanung und Geographie (Physische Geographie und Anthropogeographie) in die Untersuchung einbezogen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann überlegt werden, ob Studiengänge wie Ingenieurswissenschaften, Volkswirtschaftslehre oder Rechtswissenschaften einbezogen werden.

Inhalte des Forschungsauftrags

Bisher nicht untersucht wurde, welche Chancen und Risiken für die Forschenden in transformativer Forschung und Transformationsforschung bestehen, und wie die Risiken minimiert werden können. Deshalb soll in der Studie geklärt werden,

  • unter welchen Voraussetzungen die neuen Forschungsthemen und Forschungstypen auch für junge Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler eine zukunftsfähige Option darstellen.

In der Untersuchung sind mehrere Zielgruppen oder Ebenen zu unterscheiden, die über die entsprechenden Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, sich diese aneignen bzw. an andere weitergeben können sollen: a) die Lehrenden, b) die Doktorandinnen/Doktoranden, c) die Studierenden. Jede dieser Zielgruppen benötigt spezifische Angebote.

  • Deshalb soll in der Studie ein zusammenfassender und strukturierter Überblick über Nachhaltigkeitsforschung mit Transformationsbezug im o.g. Sinne gegeben werden, wobei der Fokus der Untersuchung auf Forschungen in den Raum- und Umweltwissenschaften und -planungen liegt.
  • Es soll außerdem eruiert werden, ob und in welchem Maße die Forschung Politik und Praxis beeinflusst hat, d.h. ob diese Forschung gesellschaftliche bzw. sozial-ökologische Innovationen beeinflussen, begünstigen oder initiieren kann. Auch die Verstetigung von durch Forschung gewonnen Innovationen spielt für die Transformation eine große Rolle; deshalb soll soweit möglich eruiert werden, inwieweit die Forschungsergebnisse über die Projekt- bzw. Förderlaufzeit hinaus Bestand hatten bzw. haben.

In der Studie soll darüber hinaus untersucht werden,

  • welche zielgruppenspezifischen Angebote es in deutschen Studiengängen zu den Themen der gesellschaftlichen Transformation, u.a. zu den o.g. Transformationsfeldern, bereits gibt. Dies beinhaltet auch eine Untersuchung, inwieweit verschiedene Forschungsmodi bzw. -typen bekannt sind oder vermittelt werden.
  • welche vorhandenen Bildungsangebote als Transformationsbildung bzw. transformative Bildung angesehen werden können.
  • welche Möglichkeiten zur Fortentwicklung und ggf. Veränderung der universitären Lehre in den Themenfeldern Transformation, Transformationsforschung und transformativer Forschung gesehen werden bzw.
  • inwieweit Transformationsbildung und transformative Bildung in der universitären Lehre in den o.g. Studiengängen verankert werden sollen oder können.
  • Dabei soll auch geprüft werden, inwieweit auch die Bologna-Reform Ansatzpunkte für transformatives Lernen bietet bis hin zu E-Learning und Web 2.0.15
  • Auch neue Bildungs-Formate und eigene studentische Initiativen (z.B. das Netzwerk n (http://netzwerk-n.org/) sollen in die Untersuchung einbezogen werden.

Die Untersuchung der universitären Lehre erfolgt vor dem Hintergrund, dass die Kultusministerkonferenz der Weiterentwicklung des Qualifikationsrahmens für deutsche Hochschulabschlüsse (HQR) zugestimmt hat. Er entspricht den Stufen 6 bis 8 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) und soll die nationale und internationale Vergleichbarkeit der Studiengänge erleichtern sowie die Curriculumentwicklung, Akkreditierung und Evaluation unterstützen. Er ist lernergebnisorientiert und beschreibt „die Kompetenzen, die mit einer Qualifikation auf einem bestimmten Niveau erworben wurden. Zentrale Kategorien sind dabei einerseits die Fähigkeit zu reflexivem Handeln auf der Grundlage wissenschaftlicherErkenntnisse, andererseits die Fähigkeit, wissenschaftliche Methoden anzuwenden und dadurch neues Wissen zu erzeugen.“ 16

  • In der Studie soll untersucht werden, in welchem Verhältnis die gewonnenen Erkenntnisse zur universitären Lehre zu dem neuen HQR stehen.

Zur Methodik der Untersuchung Da die vorgeschlagene Studie ein neues Themenfeld erschließt und nicht auf getestete Hypothesen u.ä. zurückgreifen kann, wird sie als qualitative Untersuchung angelegt. Die o.g. Forschungsfragen bzw. Aufträge sollen mittels Literatur- und Dokumentenanalysen und Experteninterviews bearbeitet werden. Bei der Auswahl der Interviewpartnerinnen/-partner und der Konkretisierung der Methodik der Studie wird der Auftragnehmer/die Auftragnehmerin von den Mitgliedern des FRU-Vorstandes beraten. Die Studie muss eine Zusammenfassung enthalten.

Ausschreibungsbedingungen

Interessierte Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler werden gebeten, mit einem etwa einseitigen Schreiben ihre jeweilige Motivation zur Übernahme des Forschungsauftrags darzulegen. Dieses Motivationsschreiben soll auch einen kurzen Überblick über den bisherigen wissenschaftlichen Werdegang sowie über die fachlichen Kompetenzen im Themengebiet der Ausschreibung enthalten. Es gelten folgende Ausschreibungsbedingungen:

  • Das Höchstalter der Antragstellerin/des Antragstellers beträgt 40 Jahre (Stichtag 31.12.2017).
  • Zugelassen werden auch Anträge von Teams aus bis zu drei Personen.
  • Der Forschungsauftrag ist in deutscher Sprache anzufertigen.
  • Ein Zwischenbericht muss bis zum 15.12.2017, der Abschlussbericht bis zum 15.03.2018 in elektronischer Form in der Geschäftsstelle des FRU abgegeben werden.
  • Antragstellung und Erstellung der Studie werden durch Prof. Dr.-Ing. Ulrike Weiland als Vertreterin des FRU beraten (uweiland@uni-leipzig.de).
  • Für die Bearbeitung der Studie stehen bis zu 8.000 Euro zur Verfügung.
  • Der Auftrag wird im Rahmen eines Werkvertrags vergeben. Für die Versteuerung des Auftrags sind die Auftragnehmer verantwortlich.

Bitte richten Sie Ihren Antrag bis zum 30. September 2017 an die Geschäftsstelle des FRU, c/o Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), Hohenzollernstraße 11. 30161 Hannover, oder fru@arl-net.de. Für inhaltliche Rückfragen bei der Antragstellung steht Prof. Weiland zur Verfügung.

Verwendete Literatur

Deutsches Nationalkomitee für die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Deutschen UNESCO-Kommission (2015): Positionspapier „Zukunftsstrategie BNE 2015+“ http://www.bne-portal.de/sites/default/files/BNE-Positionspapier-2015plus_deutsch.pdf (21.08.2017).

o.A. (2017): KMK und HRK verabschieden neuen Qualifikationsrahmen. In: Forschung und Lehre 5, 385.

Schlacke, S. (2017): Umweltbezogene Verfahrensgerechtigkeit, Habitat-II-Agenda und WBGU-Gutachten zu Urbanisierung. Vortrag auf dem ARL-Kongress 2017 am 11.05.2017 in Potsdam.

Schneidewind, U.; Singer-Brodowski, M. (2014): Transformative Wissenschaft. Klimawandel in deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. Marburg.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten. Berlin.

WBGU (2016): Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Hauptgutachten. Berlin.


1 Vgl. WBGU (2011), WBGU (2016), diverse Aufsätze in der Zeitschrift GAIA und die ARL-Nachrichten 2/2016 zum Thema ‚Transformative Wissenschaft‘.

2 WBGU (2011), Schneidewind/Singer-Brodowski (2014: 28)

3 WBGU (2011: 23 f.), WBGU (2016)

4 WBGU (2016)

5 Schlacke (2017)

6 Schneidewind/Singer-Brodowski (2014: 121 ff.)

7 WBGU (2011: 23 f.)

8 Einschränkend ist zu bemerken, dass transformative Forschung nach Ansicht des WBGU nicht grundsätzlich inter- bzw. transdisziplinär sein muss, sondern ein breites „Spektrum von einer rein disziplinär verankerten bis hin zu systemisch angelegter Forschung“ umfassen kann (WBGU 2011: 24).

9 Mit den Begriffen ‚universitär‘ und ‚Hochschule‘ werden hier Universitäten und Fachhochschulen angesprochen. Ansätze zur Transformation in der Lehre finden sich in beiden Hochschulformen, und wegen ihres Praxisbezugs sind gerade die Fachhochschulen Orte transdisziplinären Arbeitens – wenn auch nicht zwangsläufig im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung.

10 Schneidewind/Singer-Brodowski (2014: 227)

11 U.a. Deutsches Nationalkomitee für die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Deutschen UNESCO-Kommission (2015), vgl. Schneidewind/Singer-Brodowski (2014: 235 ff.)

12 WBGU (2011: 24)

13 WBGU (2011: 24)

14 Schneidewind/Singer-Brodowski (2014: 233 ff.)

15 Vgl. Schneidewind/Singer-Brodowski (2014: 295)

16 o.A. (2017: 385)