„Gewerbegebiete und regionale Steuermodelle der Zukunft“
JF-Themenabend am 10. Mai 2021
Als erste aus dem Barcamp des Jungen Forums der ARL „Planer*innen für die Zukunft“ entstandene digitale Veranstaltung fand ein Themenabend zu „Gewerbegebieten und regionalen Steuermodellen der Zukunft“ statt, für den Dipl.Forsting. ETH Ueli Strauss aus der Schweiz als Referent gewonnen werden konnte. Organisiert wurde der Themenabend von der JF-Arbeitsgruppe „Gewerbeflächen, Steuern, regionale Modelle und Strukturwandel“. Der Einladung folgten etwa 20 Nachwuchskräfte aus den Bereichen Planung, Flächensparmanagement, Gewerbeflächenentwicklung und der Wirtschaftsförderung aus Deutschland und Österreich.
Nach der Begrüßung durch Corinna Schmidt vom Verband Region Stuttgart folgte eine kurze Vorstellungsrunde der Teilnehmenden, zum gegenseitigen Kennenlernen und Netzwerken. Nadine Kießling (Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL) führte anschließend den Vortragenden, Ueli Strauss ein. Er ist Inhaber des Planungs- und Beratungsbüros „Strauss Raumentwicklung“ und war davor 17 Jahre lang Kantonsplaner beim Kanton St. Gallen. Nach einer kurzen Einführung in die Schweizer Rechts-, Planungs- und Steuermodelle im Vergleich zu den deutschen bzw. österreichischen Modellen berichtete Ueli Strauss von der Arbeitszonenplanung (entspricht der Gewerbe- und Industrieflächenplanung in Deutschland) im Kanton St. Gallen. Innovativ ist die 2017 eingeführte Arbeitszonenbewirtschaftung, welche einen Wechsel von einer Angebotsplanung zu einer Nachfrageplanung befördert.
Schweizer Besonderheiten
Die Schweiz ist ein flächenmäßig kleines Land mit hohen Löhnen, aber auch Bodenpreisen. Letztere steigen seit einigen Jahren enorm, unter anderem aufgrund des neuen Raumplanungsgesetzes, aktuell günstiger Kredite sowie der Suche nach Liegenschaften durch Versicherungen und Unternehmen der Altersvorsorge. Die Schweiz setzt sich ferner aus 26 Kantonen (zwischen 15.000 EW bis über 1 Mio. EW) zusammen. Mindestlöhne wurden nur von einzelnen Kantonen eingeführt. Auch die Steuern fallen kantonal sehr unterschiedlich aus. Eine Besonderheit ist, dass in der Schweiz die Kantone die Hoheit über die Festsetzung der Steuern juristischer Personen haben.
Änderungen des Schweizer Raumplanungsgesetzes (RPG)
Durch das Entscheidungssystem der halbdirekten Demokratie, welches direktdemokratische und repräsentative Elemente vereint, kommt in der Schweiz den stimmberechtigten Bürger/innen (Stimmvolk) bei Entscheidungen zur Raumentwicklung eine wichtige Funktion zu. So mündete die 2007 gestartete Landschaftsinitiative, welche eine Eindämmung der Zersiedelung zum Ziel hatte, in einer Teilrevision des RPG im Jahr 2014. Diese brachte signifikante Änderungen der Schweizer Raumplanung mit sich. So müssen die Kantone seit 2019 in den kantonalen Richtplänen das Siedlungsgebiet und dessen Verteilung im Kanton abschließend festlegen (Art. 8a RPG). Dabei sind die Bauzonen so festzulegen, dass sie dem voraussichtlichen Bedarf für eine Perspektive von 15 Jahren entsprechen (Art. 15 RPG). Überdimensionierte Bauzonen sind zu reduzieren. Zudem wurden die Kantone verpflichtet, eine Arbeitszonenbewirtschaftung einführen, welche die haushälterische, d. h. sparsame, Nutzung der Arbeitszonen gewährleistet (Art. 30a Abs. 2 Raumplanungsverordnung, RPV).
Der Kanton St. Gallen
Mit Blick auf die Bevölkerungsdichte steht der Kanton St. Gallen mit 507.700 EW bei einer Flächengröße von 2.031 km2) an fünfter Stelle aller Schweizer Kantone und liegt an der Grenze zu Österreich, Liechtenstein und – über den Bodensee hinweg – Deutschland. Das an die Teilrevision des Raumplanungsgesetzes angepasste Planungs- und Baugesetz des Kantons St. Gallen trat 2017 in Kraft. Der angepasste Kantonale Richtplan St. Gallen, das zentrale Steuerungs- und Koordinationsinstrument des Kantons, wurde ebenfalls 2017 genehmigt und beinhaltet die in der RPV geforderte Arbeitszonenbewirtschaftung. Aufgrund der „15-Jahres-Regel“ müssen acht Gemeinden im Kanton St. Gallen Bauzonen „rückzonen“. Ebenso Bestandteil des angepassten Kantonalen Richtplans ist die Verpflichtung, neue Wohn- und Arbeitszonen mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖV) anzubinden.
Arbeitszonenplanung im Kanton St. Gallen
Die Arbeitszonenplanung im Kanton St. Gallen besteht aus vier Bausteinen:
- Flächenanalyse (regelmäßige Ermittlung der Flächenpotenziale mit dem ‚Raum+‘-Ansatz: https://www.raumplus.ethz.ch/de/methodik/), Flächensicherung (über die kantonalen Richtplaninstrumente wirtschaftliche Schwerpunktgebiete und strategische Arbeitsplatzstandorte),
- Flächenentwicklung durch die Gemeinde oder die Grundeigentümer sowie
- Immobilienmarketing.
Wirtschaftliche Schwerpunktgebiete sind größere, bereits eingezonte (d. h. ausgewiesene) Arbeitsplatzstandorte. Strategische Arbeitsplatzstandorte sind noch nicht eingezont und können bei konkretem Bedarf genutzt werden. Für Betriebsansiedlungen sind vorrangig die wirtschaftlichen Schwerpunktgebiete und strategischen Arbeitsplatzstandorte zu nutzen. Erweiterungen bestehender Betriebe werden im Kanton St. Gallen in der Regel erst genehmigt, wenn eine konkrete Projektskizze vorliegt und eine mehrgeschossige Bauweise vorgesehen ist. Diese ist erforderlich aufgrund des Prinzips der haushälterischen Bodennutzung und des Zieles, hochwertige landwirtschaftliche Flächen (sogenannte Fruchtfolgeflächen) zu schonen. Ein angemessener ÖV-Anschluss* ist zu gewährleisten, beispielsweise bei strategischen Arbeitsplatzstandorten mindestens eine Buserschließung im Halbstundentakt zu Hauptverkehrszeiten. Sobald Erweiterungen größer als 0,5 ha werden, sind sie im kantonalen Richtplan aufzunehmen. Bei größeren Erweiterungen wird eine Verlagerung von Betrieben in die kantonalen Schwerpunktgebiete oder Arbeitsplatzstandorte angestrebt. Um die Aufnahme dieser Änderungen in den kantonalen Richtplan zu ermöglichen, wird der kantonale Richtplan jährlich überprüft und revidiert.
Herausforderungen und Chancen der Arbeitszonenplanung
Seit Einführung der Änderungen hat sich herausgestellt, dass die Arbeitszonenplanung des Kantons St. Gallen gerade für kleinere Betriebe Nachteile mit sich bringt. Daher wird der kantonale Richtplan derzeit angepasst, um hier Verbesserungen zu erzielen. Denn die größte Schwierigkeit besteht aktuell darin, überhaupt ein (passgenaues) Areal zur Unternehmensansiedlung zu finden. Diese müssen oft eine bestimmte Größe besitzen. Das System der Arbeitszonenplanung funktioniert, ist aber laut Ueli Strauss schwerfällig. Wenn innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens keine Fläche als Angebot für ein Unternehmen zur Verfügung steht, entscheidet sich das Unternehmen ggf. für eine Fläche in einem anderen Kanton oder in den Nachbarländern. Investitionsanfragen müssen schnell beschieden werden, um diese erfolgreich abzuschließen, aber ein Zeitrahmen von mindestens 3-4 Monaten, zur Abstimmung und Planung, sind hierfür mindestens einzuplanen.
Auf die Frage, wie Entscheidungsprozesse bei der Arbeitszonenplanung funktionieren, kommt dem Kanton bei der Ansiedlung von Unternehmen im Gegensatz zur Gemeinde das größere Gewicht in der Planung des Standorts zu. Beispielsweise findet eine Steuerung gewerblicher bzw. industrieller Ansiedlungen häufig über Steuererleichterungen in Form von „Steuergeschenken“ oder Steuerbefreiungen über 10 Jahre statt. Vom Ausland und insbesondere den Nachbarstaaten wird diese Entwicklung sehr kritisch bewertet. Dieser starke Wettbewerb über Steuererleichterungen in der Schweiz wird sogar unter einzelnen Kantonen betrieben, um die Entscheidung einer Unternehmensansiedelung zu beeinflussen. Dies wird auch von Ueli Strauss als problematisch betrachtet, weshalb er die Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren für den Entscheidungsprozess als zentral erachtet.
Das neue Raumplanungsgesetz sei jedoch noch nicht überall in der Wirtschaft insgesamt angekommen, so der Referent. Eine direkte Umsetzung unternehmerischer Vorhaben und Ideen sollte heute nicht mehr unmittelbar erfolgen. Es bedarf vielmehr einer vorausschauenden Planung. Die Neuausweisung von Arbeitszonen dauert dabei oft über ein Jahr, da zunächst eine Abstimmung mit dem Kantonalen Richtplan erfolgen muss. Für Unternehmen hingegen sei es sehr wichtig, dass beispielsweise Produktionshallen schnell errichtet werden, damit produziert werden kann. Ueli Strauss findet es wichtig, dass Unternehmen die vorausschauender planen, auf Kantone/Kommunen zugehen und den Abstimmungsprozess frühzeitig suchen.
Fazit des Themenabends
Gerne hätten die Teilnehmenden noch länger über übertragbare Ansätze für das deutsche und österreichische System und Themenkomplexe wie klimatische Auswirkungen der Arbeitszonenplanung diskutiert. Aufgrund der begrenzten Zeit, aber des starken Interesses soll die Diskussion bei einem nachfolgenden Themenabend fortgesetzt werden.
Abschließend wurden gemeinsam mehrere Vorschläge für kommende Themenabende gesammelt.
Das Junge Forum und die Teilnehmenden danken Ueli Strauss, dass er bereit war das St. Gallener Modell der Arbeitszonenplanung vorzustellen und Stärken und Schwächen im Planungsalltag hervorzuheben!
Nadine Kießling
Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
E-Mail: nadine.kiessling@wsl.ch
Kerstin Meyer
Institut Arbeit und Technik
Munscheidstraße 14
45886 Gelsenkirchen
Tel. +49 209 1707 113
E-Mail: kmeyer@iat.eu
*In der Schweiz gibt es ÖV-Güteklassen: Eine Neueinzonung für Arbeitsplatzstandorte muss über eine angemessene Erschließung mit dem öffentlichen Verkehr verfügen. Strategische Arbeitsplatzstandorte müssen mindestens mit der ÖV-Güteklasse D und bei einer Buserschließung mit einem Halbstundentakt zu Hauptverkehrszeiten erschlossen sein. In begründeten Ausnahmefällen kann die Erschließung unter Berücksichtigung der Gesamtverkehrssituation und der Arbeitsplatzdichte etappenweise erfolgen. Weitere Vorgaben sind im Koordinationsblatt S 22 Strategische Arbeitsplatzstandorte formuliert.