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Neue Räume in Europa?

Lassen sich neue grenzüberschreitende Räume und Identitäten konstruieren? Können Binnengrenzen zu Außengrenzen werden? Was sind die praktischen Implikationen von neuen grenzüberschreitenden Räumen? Im Workshop „Neudefinition von Räumen“ hatten sich die Anwesenden diese Fragen sowie weitere Themen der Raum- und Regionsbildung vorgenommen – kein leichtes Unterfangen.

Der Workshop wurde im Stil der „World Cafés“ organisiert: drei Referentinnen und Referenten diskutierten jeweils rund eine halbe Stunde mit einem Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer Café-Atmosphäre. Nach einer halben Stunde wechselte die Zusammensetzung des Cafés, nach einer weiteren halben Stunde erfolgte ein abermaliger Wechsel. So konnten alle Anwesenden drei intensive Diskussionen mitgestalten. Moderiert wurde das Café von Patricia Feiertag, Bergische Universität Wuppertal, und Yvonne Knapstein, team ewen – Konflikt- und Prozessmanagement Darmstadt.

Im ersten Café stellte Monika Sonntag vom Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin die sogenannte Großregion vor. Zu ihr gehören neben Luxemburg die deutschen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland, die französische Region Lothringen sowie die belgische Region Wallonien. Die Konstruktion dieser grenzüberschreitenden Region mit dem Ziel der Zusammenarbeit im Kulturbereich entsprang einer politischen Idee und wurde „top-down“ organisiert. Wird sie sich etablieren können, gerade auch in den Köpfen der Kulturschaffenden? In der eingehenden Diskussion wurde dies eher skeptisch gesehen. Zudem wurde klar, dass neue Räume wie die Großregion nach funktionalen Kriterien abgegrenzt sind. Nationale Grenzen werden dadurch nicht ersetzt. Es kommt vielmehr ein neuer regionaler „Layer“ hinzu. Dies führt dazu, dass die Bewohnerinnen und Bewohner, insbesondere die untersuchten Akteure des Kultursektors, jeweils unterschiedliche Handlungs- und Identitätsräume konstruieren. Dabei mögen die Staatsgrenzen an Bedeutung verlieren und Raumgefälle zwischen Metropolen und Peripherien größer werden – letztlich lösen sich Grenzen nicht auf, weder funktional noch in den Köpfen.

Auch Dr. Tobias Chilla von der Universität Luxemburg hat die Großregion untersucht. In seinem Impuls „Wenn Binnengrenzen zu Außengrenzen werden“ fokussierte er darauf, dass durch die Bildung der Großregion bislang innerstaatliche Binnengrenzen, beispielsweise Grenzen der deutschen Bundesländer, zu Außengrenzen des innereuropäischen Kooperationsraumes geworden sind. Chilla stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Rolle Territorialität und Territorialisierung in diesem Prozess der „neuen Regionalisierung“ spielen. Auch er verdeutlichte, dass der gewollte politische Raum nicht mit funktionalen Zusammenhängen zur Deckung kommt. Selbst die einzelnen Funktionalitäten bedingen eigentlich unterschiedliche Territorialisierungen. Eine gemeinsame Territorialität lässt sich nicht erkennen. Die passende Antwort der Raumwissenschaften wären möglicherweise „flexible Geographien“, mit denen die vielfältigen Handlungsweisen der regionalen Akteure, Identitätskonstruktionen und Kooperationsbeziehungen eingefangen werden könnten.

Dr. Peter Schmitt, Nordregio – Nordic Centre for Spatial Development Stockholm, stellte in seinem Beitrag „Umstrukturierung transnationaler Räume durch ‘makroregionale Strategien’” die Strategie der EU für den Ostseeraum vor. Sie baut auf Ideen der transnationalen Kooperation und Projektumsetzung auf. Neue Instrumente, Gesetze oder Finanzmittel werden nicht bereitgestellt. Stattdessen werden vielfältige und oft bereits bestehende Initiativen und Instrumente im Ostseeraum gesammelt und durch eine makroregionale Perspektive ergänzt. Schmitt erläuterte die makroregionale Strategie für den Ostseeraum und kam zu dem Ergebnis, dass dadurch keine neue Raumkategorie geschaffen wurde. Vielmehr handle es sich um ein neues „Label“, mit dem der Ostseeraum neu „geladen“ wird und das die spezifischen Ziele und Maßnahmen bündelt und neu ausrichtet.

Andreas Klee