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Migration & Integration – Herausforderungen für die europäische Raumentwicklung

Migrationsfragen rücken zunehmend in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit in Europa. Die internationale Migration sowohl in die als auch innerhalb der Europäischen Union wird auch in Zukunft eine der großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen darstellen. „Alte“ wie „neue“ Zuwanderungs- bzw. Transitländer – etwa Italien (Lampedusa) oder Spanien – sind (plötzlich) mit Fragen der Integration und sozialen Inklusion konfrontiert, die vor Ort und in den Regionen oftmals enge Interdependenzen mit sozialen und ökonomischen Problemen aufweisen. Besondere Problemlagen bzw. Integrationsanforderungen entstehen, wenn die ethnische Wohnsegregation im Quartier mit wirtschaftlicher und sozialer Segregation einhergeht.

Auf die Zusammenhänge zwischen Migrationsprozessen und Regionalentwicklung ging die Moderatorin, Juniorprof. Dr. Birte Nienaber, Saarbrücken, in ihrer Einleitung in den Workshop kurz ein. Im Vordergrund des Workshops standen die Konsequenzen des Wanderungsverhaltens junger Frauen für die ländliche Regionalentwicklung sowie soziale und politische Anforderungen, die aus einer wachsenden Transkulturalität, -ethnizität bzw. -nationalität resultieren.

Regionalentwicklung und Migrationsverhalten junger Frauen

Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit beeinflussen nicht nur den sozialen Wandel, sondern auch die Migrationsmuster junger Menschen. So weisen (prosperierende) urbane Räume tendenziell einen Überschuss an jungen Frauen auf, während in dünn besiedelten, ländlichen (Schrumpfungs-)regionen oftmals eine Dominanz junger Männer erkennbar ist. Als zentrale Ursachen für die Abwanderung junger Frauen aus ländlichen Regionen werden ein höheres Bildungsniveau, eine stärkere Mobilitätsbereitschaft und eine besondere Präferenz für urbane Lebensweisen vermutet.

Auf diese für die Regionalentwicklung wichtige Thematik ging Dipl.-Geogr. Tim Leibert, Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig, auf der Grundlage von Zwischenergebnissen eines von der Europäischen Union im Rahmen des ESPON-Programms geförderten Forschungsprojekts in einem Impulsstatement ein. Wie er ausführte, sind im europäischen Vergleich Frauendefizite in ländlichen Räumen in der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen nicht ungewöhnlich. Ländliche Ausbildungs- und Arbeitsmärkte bieten jungen Männern anscheinend bessere Bedingungen zur Verwirklichung ihrer Berufswünsche (Tätigkeitsspektrum) als jungen Frauen. In vielen ländlichen Regionen Europas ist für die Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen – gewissermaßen in einer zweiten Phase – dann jedoch ein verstärkter Zuzug von Frauen (Zu- und Rückwanderer) festzustellen, der wieder zu einer ausgeglicheneren Geschlechterstruktur und dadurch zu einer Verbesserung der Humankapitalausstattung führt.

Bleibt die Zu- und Rückwanderung von Frauen in der Berufseinstiegs- und Familiengründungsphase allerdings weitgehend aus, so ergeben sich gravierende Probleme für die ländliche Regionalentwicklung. Zwar lässt sich diese Entwicklungstendenz auch in anderen Staaten der EU erkennen, jedoch nicht in dem Ausmaß und so flächendeckend wie in Ostdeutschland. Als Ursachen für die ausbleibende Zu- und Rückwanderung junger Frauen in die ländlichen Gebiete der neuen Länder sind die ungünstige Arbeitsmarktsituation, die nach wie vor bestehenden infrastrukturellen Ausstattungsdefizite, das Einkommensgefälle zu westdeutschen Regionen und ein teilweise ausgeprägter Pessimismus hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung (der regionalen Lebensqualität) zu nennen. Hier stehen Regionalplanung und Regionalentwicklungspolitik vor der Herausforderung, die durch Abwanderungs- und Schrumpfungsprozesse ausgelöste Abwärtsspirale zu begrenzen und diese Regionen für die Zuwanderung junger Menschen, insbesondere Frauen, wieder attraktiver zu gestalten.

Diese Fragen wurden in dem Workshop eingehend diskutiert. Im Vordergrund standen die Ursachen für sozial und geschlechtsspezifisch selektive Migrationsprozesse zwischen strukturschwachen und -starken Regionen sowie die (endogenen) Potenziale für eine soziodemographische und ökonomische Stabilisierung der betroffenen Regionen. Des Weiteren ging es um die konzeptionellen und instrumentellen Handlungsmöglichkeiten der Regionalplanung und Regionalentwicklungspolitik, genauer um den optimalen Mix von Entwicklungsstrategien und -instrumenten zur Attrahierung jüngerer, qualifizierter Arbeitskräfte mit entsprechend hohen Anforderungen an die regionale Lebensqualität und insbesondere die „weichen“ Standortfaktoren.

Transkulturalität, Transethnizität, Transnationalität

Das zweite Impulsreferat von Dr. Christina West, Universität Mannheim, geht auf das Forschungsprojekt „Transkulturalität, Transnationalität, Transethnizität und soziale Lokalität  in Europa“ sowie auf Forschungen des Arbeitskreises „Räumliche Auswirkungen der internationalen Migration“ der ARL zurück. Ein wichtiger Forschungsaspekt bezieht sich auf die Frage, ob nicht Konzepte der Inter- oder Transkulturalität und die damit verbundenen Vorstellungen von Mehrfachintegration über Transnationalität oder Transethnizität in Zukunft die raumplanerische (-entwicklungspolitische) Diskussion um Integration, Exklusion, soziale Kohäsion oder räumliche Segregation stärker bestimmen werden.

Wie erste Untersuchungen zeigen, werden die Auswirkungen internationaler Migrationsprozesse auf der Ebene der Nationalstaaten, Regionen und Gemeinden unterschiedlich diskutiert. Ist auf nationalstaatlicher Ebene eher das tradierte nationale Selbstverständnis von Gesellschaft (gesellschaftlichem Zusammenleben) die Grundlage für das Verständnis von Integration (Zugehörigkeit zum Kollektiv, Identität) und für die Ausarbeitung integrationspolitischer Strategien, so findet die eigentliche Integrationsarbeit auf der regionalen und insbesondere der lokalen Ebene statt. Hierbei unterscheidet sich das Verständnis von Integration auf der lokalen Ebene oftmals deutlich von der Sichtweise auf nationalstaatlicher Ebene.

Daher ist es eine wichtige Frage, welche Integrationsstrategien sich – im politisch-administrativen Mehrebenen-Spannungsfeld – vor Ort, d. h. in erster Linie in den Städten und ihren von Zuwanderung vorrangig betroffenen Stadtquartieren, durchsetzen bzw. verfolgt werden. Zudem bestehen auch auf der lokalen Ebene durchaus Divergenzen zwischen dem, was von Politik, Verwaltung sowie Stadt- und Regionalplanung als Handlungsstrategien formuliert wird, und dem, was im Alltagshandeln von Migrantinnen und Migranten im Hinblick auf Integration und soziale Kohäsion vollzogen bzw. gelebt wird. „Zugehörigkeit“ und Identität werden hierbei auf der Basis unterschiedlicher Wertorientierungen und verschiedener sozialräumlicher Kontakte konstruiert. Hierbei rückt das Konzept der Interkulturalität und damit die Forderung nach einem bewussten und sorgsamen Umgang mit Differenz zunehmend in den Vordergrund. Für die Stadt- und Regionalplanung gewinnen dadurch das Leben in transnationalen sozialen Räumen und die damit verbundene Ausprägung bi- bzw. pluri-kultureller Identitäten immer mehr Bedeutung.

Im Mittelpunkt der Diskussion standen die bisher diskutierten Integrationsmodelle und die Auswirkungen neuartiger Identitätskonstruktionen, die sich (hybrid) jenseits nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit vollziehen, auf den Verlauf und die Anforderungen an „Integrations“prozesse und an die Stadt- und Regionalplanung. Dabei wurde deutlich, dass nach wie vor beträchtliche Defizite bei den sozialstatistischen Grundlagen, aber auch ein erheblicher Forschungsbedarf im Hinblick auf die sozialräumlichen Konsequenzen von Integrationsprozessen bestehen. Aussagekräftige Daten und raumbezogene Informationen sind jedoch eine entscheidende Voraussetzung für einen erfolgreichen Umgang mit den Konsequenzen der internationalen Migration und damit für eine sozial nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung.

Gerd Tönnies