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Wissenschaftliche Plenarsitzung 2010

Neue Energien – neue Chancen und Konflikte für Städte und Regionen

Über 200 Expertinnen und Experten aus den Raumwissenschaften und der Planungspraxis diskutierten auf der diesjährigen Wissenschaftlichen Plenarsitzung der ARL am 3. und 4. Juni in Erfurt die Rolle der Raumplanung beim Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Im Vordergrund der Veranstaltung standen der Raumbedarf erneuerbarer Energien, Konflikte mit anderen Nutzungen, die sich durch erneuerbare Energien ergeben, sowie aktuelle Möglichkeiten und Weiterentwicklungsbedarf in Bezug auf planerische Instrumente. Die Veranstaltung wurde unterstützt durch den Freistaat Thüringen, der den Abendempfang am 3. Juni ausrichtete, sowie durch SolarInput e.V., Erfurt.

Sie finden auf dieser Seite einen Bericht über die Veranstaltung sowie im Anschluss die einzelnen Präsentationen zum Download.

Raumrelevanz der aktuellen Entwicklungen im Energiebereich

Die Aktualität der Thematik wurde insbesondere durch die Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, Christine Lieberknecht, unterstrichen, die zu Beginn der Veranstaltung ein Grußwort an die Tagungsteilnehmer richtete und der ARL dafür dankte, mit diesem wichtigen Thema gerade nach Thüringen gekommen zu sein. Im Anschluss wurden – nach einer Einführung in das Tagungsthema durch ARL-Vizepräsidenten Dr. Bernhard Heinrichs – in Keynote-Vorträgen unterschiedliche Blickweisen auf die aktuellen Entwicklungen im Energiebereich und deren Raumrelevanz präsentiert und diskutiert.

Die Energieökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert, DIW Berlin und Professorin an der Hertie School of Governance, Berlin, betonte, dass der Ausbau erneuerbarer Energien gleichermaßen zur Lösung der Klima-, Energie- und Wirtschaftskrise beitragen könne – Klimaschutz könne als „Motor der Wirtschaft“ betrachtet werden. Entscheidend sei jedoch, die Kommunen in die Bemühungen zum Klimaschutz einzubeziehen.

Prof. Dr. Martin Faulstich, TU München, und Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), stellte in seinem Vortrag u.a. die Ergebnisse des aktuellen Sondergutachtens des SRU zur Zukunft der Stromversorgung in Deutschland sowie die Raumrelevanz der verschiedenen Energieträger in den Vordergrund. Zentrale Herausforderung sei, so Faulstich, die Gestaltung des Systemübergangs hin zu einer nachhaltigen Industriegesellschaft. Die Versorgung zu 100% aus erneuerbaren Energien bis 2050 sei möglich – wenn jetzt die Weichen für den Umbau gestellt würden.

Prof. Dr. Hans-Peter Tietz, Technische Universität Dortmund, ging auf die Konsequenzen ein, die sich gerade der Raumplanung durch dieses Ziel stellen. Mit Blick auf den notwendigen Ausbau der Versorgungsnetze hob er hervor, dass die raumplanerischen Ziele für eine Netzintegration der regenerativen Energien am besten über einen ‚Bundesenergieleitungsausbauplan‘ in den Planungsprozess eingebracht werden können. Eine wichtige Rolle zum regional angepassten Ausbau der erneuerbaren Energien käme v.a. regionalen Energiekonzepten zu.

Herausforderungen für die Planung

In einer Podiumsdiskussion unter Moderation von Prof. Dr. Christina von Haaren, Leibniz Universität Hannover, wurden daraufhin unterschiedliche Facetten der komplexen Thematik näher diskutiert. Teilnehmer auf dem Podium waren: Carla Vollmer, Umweltbundesamt, Dr. Eberhardt von Rottenburg, Bund der Deutschen Industrie e.V., Anja Bischof, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Prof. Dr. Alois Heißenhuber, TU München-Weihenstephan, sowie Prof. Dr. Axel Priebs, Region Hannover. Deutlich wurde, dass die unterschiedlichen Triebkräfte und Akteure, die Unsicherheiten bezüglich der Entwicklung von Märkten, aber auch die unterschiedliche politischen Bewertung einzelner Energieträger die Planung vor eine Herausforderung stelle, die deutlich über die Koordination von Raumnutzungen hinausgeht. Angesprochen wurde die Notwendigkeit eines übergeordneten „Rahmens“ für die Gestaltung der Energiewende in den Regionen und die Planung von Standorten und Netzinfrastrukturen, auch wenn sich Probleme in der Regel „vor Ort“ fokussieren. Wichtig sei mit Blick auf die Akzeptanzproblematik bei Infrastrukturvorhaben, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass eine vorsorgende Planung unnötige (und teure) Konflikte vermeide. Mit Blick auf neue Technologien wie die Kohlenstoff-Speicherung (Carbon Capture and Storage) bzw. die Speicherung von aus erneuerbaren Quellen erzeugter Energie wurde die Notwendigkeit einer „unterirdischen Raumordnung“ hervorgehoben. Das EEG wurde insgesamt als ein wichtiges Instrument betrachtet, das aber eben in erster Linie ein Markteinführungsinstrument sein und in einigen Bereichen angepasst werden müsste – gerade mit Blick auf unerwünschte „Nebenwirkungen“.

Nach dem ersten Sitzungstag lud der Freistaat Thüringen im Garten des Erfurter Kaisersaals zu einem Abendempfang ein. Der Thüringer Minister für Bau, Verkehr und Landesentwicklung, Christian Carius, begrüßte die Gäste der ARL und eröffnete den Abend. Auch er betonte die wichtige Rolle der Raumplanung, gerade auf der regionalen Ebene, bei Ausbau und räumlicher Steuerung der erneuerbaren Energien und wies auf die Bedeutung des Erfahrungsaustauschs zu diesem wichtigen Thema hin.

Weiterentwicklung der Instrumente und regionalisierte Klimaschutzziele

Am zweiten Sitzungstag wurden ausgewählte Aspekte der Tagung in parallelen Arbeitsgruppen behandelt: A) Strategien für eine energieeffiziente Raumstruktur, B) Instrumente und Steuerungsansätze auf regionaler Ebene, C) Erneuerbare Energien und Stadtentwicklung, D) Raumrelevanz erneuerbarer Energien (s. Übersicht unten). Im anschließenden, vom Förderkreis für Raum- und Umweltforschung (FRU) konzipierten Tagungsblock referierte Christina Schlotmann, Technische Universität Darmstadt, über Probleme der nachhaltigen Infrastrukturentwicklung in Metropolen am Beispiel der Siedlungswasserwirtschaft in New York und stellte die Herausforderungen, die sich z.B. durch Klimawandel und geändertes Verbraucherverhalten ergeben, und die Raumwirksamkeit des notwendigen Transformationsprozesses dar.

Im Schlussvortrag zur Wissenschaftlichen Plenarsitzung stellte Prof. Dr. Daniel Wachter, Bundesamt für Raumentwicklung, Bern, synoptisch dar, wie die Energiethematik im schweizerischen Raumplanungsrecht und in der schweizerischen Raumplanungspraxis aufgegriffen wird. In seinem Fazit machte Wachter konzeptionelle Vorschläge zu einer umfassenden räumlichen Energieplanung mit klarer, klima- und versorgungspolitisch kompatibler Zielorientierung, dem Einbezug der unterschiedlichen staatlichen Ebenen und der Entwicklung systematischer raumplanerischer Antworten in den Bereichen Förderung der Energieeffizienz, Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Ausbau der Versorgungsstrukturen.

ARL-Präsident Hans-Heinrich Blotevogel hob in seinem Schlusswort die Komplexität der Anforderungen, die sich durch Klimaschutz und Energiewende ergeben, hervor. Die Raumplanung könne hier sicherlich nicht alle Probleme lösen, dennoch aber wichtige Beitrage zur nachhaltigen Gestaltung der Energiesysteme leisten und negative Auswirkungen vermindern. Notwendig sei jedoch in Teilen eine Schärfung des Instrumentariums, z.B. im Bereich der Netzplanung. Ebenso sei notwendig, energiepolitische Ziele auf die Regionen herunterzubrechen und mit Bezug auf regionale Besonderheiten umzusetzen – die regionale Ebene stelle eine wichtige Integrationsebene dar. Dies erfordere auch einen klaren gesetzlichen Auftrag an die Raumplanung.

Dr. Gerhard Overbeck