Auf der diesjährigen Tagung des Jungen Forum fanden sich rund 40 Teilnehmende im neuen Libeskind-Bau der Leuphana Universität Lüneburg ein, um sich der Debatte um die „Große Transformation“, die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) angestoßen hat, zu widmen. Mit seinem Gutachten hat der WBGU auch neue Dynamik in die Debatte zu Fragen einer nachhaltigen Entwicklung gebracht und benennt die Notwendigkeit einer Transformation in den drei zentralen Handlungsfeldern – Energiewende, Urbanisierung und Landnutzung.
Der WBGU stellt fest, dass die Stadt- und Regionalplanung zentrale, bislang vernachlässigte Handlungsfelder für eine Transformation darstellen. Im Spannungsfeld zwischen gestaltendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft muss sich (in)formelle räumliche Planung als wirkmächtiger Akteur für die „Große Transformation“ entwickeln. Das Handeln der Planenden in diesem Spannungsfeld motivierte die Leitfrage der Tagung nach dem transformativen Charakter von Planung zu fragen. Inhaltlich war der Fokus der Tagung dabei auf die planerische Gestaltung des Transformationsfeldes „Urbanisierung“ gerichtet.
Tag 1:
Begrüßt wurden die Teilnehmenden zunächst durch ein kleines Grußwort von Prof. Dr. Henrik von Wehrden, dem Dekan der Fakultät Nachhaltigkeit an der Leuphana, der die Relevanz räumlicher Perspektiven auf Transformationsprozesse betonte und den Tagungsteilnehmenden viel Erfolg beim Querdenken wünschte. Dr. Andreas Stefansky aus der Geschäftsstelle der ARL stellte den Teilnehmenden die besondere Funktionsweise der ARL als bundesweites transdisziplinäres Institut ehrenamtlich tätiger Expertinnen und Experten vor, dass in besonderer Weise PraktikerInnen und Forschende zusammenbringt. So auch erfolgreich auf der Tagung des Jungen Forums. Durch den weiteren Verlauf der zwei Tage führten dann ein Teil des Veranstaltungsteams: Sebastian Heilmann, der an der Leuphana am Institut für Nachhaltigkeitssteuerung forscht und Christian Höcke, der beim Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung tätig ist.
Entsprechend des Fokus auf Urbanisierung widmete sich die Tagung zunächst mit einem Einstiegvortrag von Dr. Florian Koch vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig, der Perspektive auf „Urbane Transformationen und die globalen Nachhaltigkeitsziele“. Die globalen Nachhaltigkeitsziele, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), sind 2016 in Kraft getreten und wurden von den Vereinten Nationen festgelegt. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie orientiere sich dabei als integrativer, ganzheitlicher Ansatz eng an den SDGs. Sie beinhalte Maßnahmen in, durch und mit Deutschland und ziele damit auf eine Multi-Level-Umsetzung. Eine besonders wichtige Rolle spielten dabei die Kommunen. Planung könne zur Umsetzung dieses und anderer SDGs beitragen, indem sie beispielsweise die Flächennutzung zur nachhaltigen Entwicklung steuere. Transformative Planung sei in der Stadtplanung teilweise bereits verankert, könne jedoch noch deutlich ausgebaut werden.
Prof. Dr. Tanja Mölders von der Leibniz Universität Hannover ging in ihrem Vortrag auf „Die Natur des ,Ländlichen’ und nachhaltige ländliche Entwicklung“ ein. „Transformative Planung muss auch im Blick behalten, was sie nicht behandelt, welche Themen gerade nicht diskutiert werden“, so Mölders. Transformative Planung müsse die Frage nach den gesellschaftlichen Naturverhältnissen, stellen, das heißt, stets die Wechselwirkungen von menschlichem Handeln und Entwicklungen auf ökosystemarer Ebene im Blick haben. In Bezug auf Ländlichkeit, schlug Mölders die Systematisierung auf zwei Ebenen vor: eine materielle mit strukturellen Eigenschaften und eine kulturell-symbolische mit konstruktivistischen Eigenschaften. Transformative Planung müsse die Hybridität des Ländlichen und dementsprechend beide Ebenen betrachten. Damit war eine Brücke zwischen urbanen und ruralen Räumen hergestellt.
Wie wichtig solcherlei Brücken in der „Großen Transformation“ sind, zeigte später Matti Pannenbäcker, Vorstand der Lüneburger „WirGarten – Gemüsegenossenschaft“. Die Genossenschaft gründete sich mit dem Verständnis, mehr als nur ökologische und regionale Versorgung mit Gemüse sicherstellen zu wollen. Durch die Unternehmungsform der Genossenschaft werden sowohl eine große Mitsprache beim Gemüseanbau sichergestellt, aber auch viele Menschen zusammengebracht (im Gründungsjahr schon über 200), die miteinander und auch aktiv im ihrem Umfeld für nachhaltige Ernährung und Landnutzung ‚werben’.
Auf der Tagung gab es weiterhin einen Vortrag zum „Rathaus im Wandel“ von Albert Geiger, dem Leiter des Referat für nachhaltige Stadtentwicklung in Ludwigsburg, der das transformative Potential der kommunalen Verwaltung zeigte. Die Stadt Ludwigsburg hat in einem mehr als zehnjährigen Prozess der Verwaltungsreorganisation Nachhaltigkeit strukturell in der Kommunalverwaltung und im Querschnitt der Dezernate in einem Referat aufgestellt. Hierfür wurden auch die notwendigen personellen Kapazitäten und zur stadtübergreifenden Orientierung ein bottom-up und top-down integriertes Stadtentwicklungskonzept geschaffen. Zu seinem Vortrag kamen Albert Geiger und der Lüneburger Nachhaltigkeitsbeauftragte Dr. Karl-Heinz Rehbein in einen spannenden Austausch zu den Herausforderungen der Kommunen.
Den Tag abgerundet hat eine Begehung des Neubaugebietes „Ilmenaugarten“. Hier konnten die Herausforderungen einer transformativen Planung für Nachhaltigkeit in der planerischen Praxis diskutiert werden – wenn (bspw.) zwischen FFH-Schutzgebiet, Lärmschutz, autoarmem Wohnen, Altlastensanierung und dennoch preisgünstigem Wohnraum abgewogen werden muss. Im Anschluss kamen die Teilnehmenden nach einem formellen und strukturierten Austausch beim gemeinsamen Abendessen noch informell ins Gespräch.
Tag 2:
Am nächsten Morgen kamen die Teilnehmenden erneut zusammen, um sich im Workshop mit Beiträgen von Mitgliedern des Jungen Forums zum Thema „Urbanisierung“ mit dem transformativen Charakter heutiger Planungspraxis zu beschäftigen. Dafür wurden drei Blickwinkel eingenommen:
Zunächst setzten sich die Teilnehmenden eingehender mit dem großen Feld der Partizipations- und Aushandlungsprozesse anhand von zwei Beispielen auseinander. Moritz Schmidt von der LAG NRW 21 e.V. stellte dazu das „Projekt Global Nachhaltige Kommune NRW (GNK NRW)“ vor, welches 15 Kommunen in Nordrhein-Westfahlen bei der Implementierung der SDGs durch wissenschaftliche Analysen und strategische Beratung unterstützt. Im Vortrag wurde dabei über das Projekt und die Erfahrungen bei der Anwendung eines auf einem kooperativen Planungsansatz basierenden Nachhaltigkeitsmanagementsystem berichtet. Dr. Christian Lamker von der TU Dortmund ging in seinem Vortrag auf das Spannungsverhältnis zunehmender Aushandlungsprozesse in der räumlichen Planung am konkreten Beispiel des gewerblichen Immissionsschutzes in der Bauleitplanung ein. Er stellte Ergebnisse von 15 Fallstudien vor, die sich empirisch damit befasst haben, wie Entscheidungen in der Bauleitplanung heute getroffen werden und welche Faktoren auf diese Entscheidungen einwirken.
Im Anschluss wandten sich die Teilnehmenden dem großen Thema des immer noch viel zu hohen Flächenverbrauches zu und gingen der Frage nach, welchen Beitrag konkrete Instrumente der räumlichen Planung zur Großen Transformation beitragen und wie diese u.a. durch Lernprozesse weiterentwickelt werden können. Hierzu stellte Annegret Repp von der HCU Hamburg einen Ansatz zur konsequenteren Verankerung ressourceneffizienter Flächeninanspruchnahme und Weiterentwicklung der Umweltprüfverfahren in der Bauleitplanung vor. Basierend auf zwei vergleichenden empirischen Untersuchungen befasste sie sich dabei mit dem Schutzgut „Fläche“ und der Frage, wie dieses bisher in der Strategischen Umweltprüfung berücksichtigt wird. Aus einem Dritten und weiter gefassten Blickwinkel diskutierten die Teilnehmenden zu einem grundlegenden Trend räumlicher Entwicklung, nämlich der anhaltenden Polarisierung zwischen Wachstums- und Schrumpfungsräumen. Hierzu gab Christine Renner von der FSU Jena einen Überblick über aktuelle Trends der Siedlungsentwicklung und den zu Grunde liegenden Einflussfaktoren. Anhand ihrer Ausführungen erörterten die Teilnehmenden welche Herausforderungen die räumliche Polarisierung für Transformationsprozesse bietet und welche möglicherweise unterschiedlichen Anforderungen an die räumliche Planung gestellt werden müssen.
Mit der Leitfrage „Was brauchen Planer, um für die große Transformation aktiv zu werden?“, wurde nach den Vorträgen noch einmal intensiv diskutiert. So braucht es etwa mehr Klarheit, Vereinheitlichung und Verbindlichkeit von Zielen für eine transformative Planung zur Förderung von nachhaltiger Entwicklung. Zu sehr kochen viele ihr eigenes „Süppchen“. Ganzheitliche Strategien die sowohl lokal als auch global wirken sollen, können so nur schwer umgesetzt werden. Auch fehlt es hier an geeigneten Instrumenten. Die „transformative Planung“ stecke hier jedoch auch in einem Dilemma: So bestehen Zielkonflikte, etwa zwischen wachsendem Wohnflächenbedarf auf der einen und der Notwendigkeit von Flächenverbrauchsreduktion auf der anderen Seite. Lösungen hierfür können nicht nur kleinräumig, sondern müssen auch auf größerer Maßstabsebene gefunden werden.
Zudem ist die Integration von „Nachhaltigkeit“ in die Planungsabläufe noch nicht gelungen. Es erweckt in der Praxis den Anschein, Kommunen und Regionen müssen es sich leisten können, neben oftmals bereits umfangreichen Aufgaben. Die Anwendung normativer Konzepte wie der SDGs oder der Urban Agenda ist nicht einfach und kann durch ihre Komplexität schnell zur Überforderung führen. Leitziele, wie sie etwa in den SDGs formuliert werden brauchen eine Übersetzung, um von lokalen Akteuren in ihr eigenes Handeln transferiert werden zu können. Diese Aufgabe ist aber lösbar, wie sich anhand verschiedener Beispiele im Rahmen der Tagung gezeigt hat. Es gibt viele Bezüge zwischen normativen Zielen und bereits existenten lokalen Planwerken. Sie sind jedoch nicht immer gleich offensichtlich.
Auch die wichtige Rolle von Kooperation und Beteiligung, um die transformative Planung voranzubringen, wurde ausführlich diskutiert. So ist der Beitrag zur gesamtstädtischen Lebensmittelversorgung durch Urban Gardening Initiativen zwar heute sicherlich begrenzt, als Akteursgruppen können sie aber durchaus hilfreich sein, um den Gedanken und die Sichtbarkeit von nachhaltiger Entwicklung zu verbreiten. Transformative Planung braucht eine Partnerschaft zwischen BürgerInnen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Dafür müssen Aushandlungsräume und Bezüge zwischen beiden Ebenen, also top-down und bottom-up geschaffen werden.
Was braucht es also? Zum einen, so wurde festgehalten, einen Bewusstseinswandel der Akteure und eine Selbstreflektion der eigenen Zukunft, um Akzeptanz und Handlungsbereitschaft zu fördern. Neben solchen individuellen Lernprozessen braucht es auch einen veränderten und mitunter leichter anzuwendenden Instrumentenkoffer als Hilfestellung für handelnde Akteure, mit denen normative Strategien nicht hehre Ziele bleiben, sondern praktisch umgesetzt werden können. Und es brauche auch ein Stück weit mehr Mut als bisher, sich den Herausforderungen zu stellen und mit Unsicherheiten umzugehen, um in der Planung die vorhandenen transformativen Potenziale zu entfalten. So kann die Planung auch Ihrer Rolle gerecht werden und ein zentraler Akteur in der „Großen Transformation“ in Richtung Nachhaltigkeit werden.