Themendossier: Freiraumsicherung und Ökosystemschutz
„Vom Freiraum her denken, planen und handeln“!
Die Sicherung und Entwicklung von Freiräumen ist ein bedeutsames Zukunftsthema nachhaltiger Raumentwicklung und -planung. Freiräume sind kostbar, begehrt und grundlegender Gegenstand von Planungshandeln – ihre sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Funktionen sind so vielfältig wie die Konflikte, die um ihre Nutzung bzw. Inanspruchnahme entstehen. Schon die UN-Sustainable Development Goals (SDG) fordern mit Ziel Nr. 15 die Notwendigkeit, terrestrische Ökosysteme zu schützen und nachhaltig zu nutzen, wiederherzustellen und zu fördern. Die (erfolgreiche) Umsetzung einer Vielzahl weiterer SDGs (u.a. 6, 7, 9, 11, 12, 13) steht darüber hinaus im Kontext mit der Sicherung und Entwicklung von Freiräumen. Auch die Nationale Biodiversitätsstrategie argumentiert in diese Richtung, unsere zentralen Planungsgrundlagen benennen stets den sparsamen „Gebrauch“ von Fläche, und auch in der Bevölkerung spielt diese Thematik in steigendem Maße eine bedeutende Rolle: Wir sind zunehmend für den Schutz von Freiraumqualitäten und -funktionen sensibilisiert, und wollen nicht, dass diese für Zwecke wie Kohleabbau oder Autobahnen, die den globalen Nachhaltigkeitszielen entgegen stehen, zerstört werden. Wir diskutieren den Erhalt natürlicher Treibhausgassenken und den Schutz der Biodiversität, interessieren uns für solidarische Landwirtschaft, urban farming oder weitere gemeinschaftliche Modelle flächenschonender Wirtschaftsweisen. Und nicht zuletzt zeigt uns die aktuelle Pandemie, dass Freiräume für die Naherholung besonders in Verdichtungsräumen eine große Bedeutung haben.
Zentrale Studien wie „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ zu Potenzialen und Leistungen von Natur unterstützen die Dringlichkeit des Freiraumschutzes explizit für Deutschland. Und vor dem Hintergrund des Klimawandels, des Arten- und Biodiversitätsverlustes wie auch der zunehmenden Inanspruchnahme und Belastung von Boden und generell von unbebauter/unbesiedelter Fläche muss es zentrales Anliegen einer nachhaltigen Raumentwicklung sein, in der gesamten räumlichen Planung die Thematik „Freiraumsicherung und -entwicklung“ deutlich höher zu gewichten als bisher. Dass das Thema Freiraumsicherung und -entwicklung durchaus kontrovers diskutiert wird, zeigt, dass ein "weiter so" wie bisher auf Kosten der natürlichen Ressourcen nicht möglich ist.
Wir stellen fest, dass eine wirksame Umsetzung von Zielen zu einer nachhaltigen Raumentwicklung bzw. insbesondere zum Schutz des Freiraums unter den gegebenen politischen, rechtlichen und planerischen Bedingungen nach wie vor zur unzureichend erfolgt und setzen uns dafür ein, auch planerisch „vom Freiraum her zu denken“ – ihn also als limitierenden und zentralen Faktor in den Fokus der Raumentwicklung zu nehmen.
Freiraumschutz in der Raumentwicklung und insbesondere in der Raumordnung
Was bedeutet dies für die Planung auf den Ebenen des Bundes, der Länder, der Regionen und auf kommunaler Ebene? Wie können die großen Ziele für den Schutz von Freiraum in Planungsziele überführt werden und wer muss bzw. kann hierfür aktiv werden?
Mit raumordnerischem Freiraumschutz hat sich u.a. eine Arbeitsgruppe der LAG S/SA/TH beschäftigt und herausgearbeitet, wie sich dieser vom oft eher konservierendem Naturschutz zu einem multifunktionalen Ressourcenmanagement weiterentwickelt hat.
Trotz eines differenzierten Instrumentariums der Landes- und Regionalplanung bestehen Herausforderungen u.a. durch die Verknappung landschaftlicher Ressourcen, was Fragen bezüglich zukünftigen integrierten Freiraumschutz- und Freiraumentwicklungs-Strategien aufwirft.
Stellungnahme „Lebensgrundlagen schützen – Flächenfraß endlich beenden!“
Die räumliche Planung muss sich daher mit ganz verschiedenen Freiräume auf allen (Planungs-) Ebenen beschäftigen – seien es grüne Freiräume in verdichteten Städten oder alpine Freiräume, die durch Zersiedelung und den Bau technischer Anlagen knapp und zerschnitten werden. Mit diesem Thema hat sich die ARL wiederholt auseinandergesetzt, und die verschiedenen Praktiken im Umgang mit alpinen Freiräumen insbesondere in der Raumordnung und darüber hinaus in der räumlichen Planung herausgearbeitet und kritisch bewertet. Zudem werden künftige Möglichkeiten von grenzüberschreitenden harmonisierten Verfahrensweisen aufgezeigt.
Analyse, Bewertung und Sicherung alpiner Freiräume durch Raumordnung und räumliche Planung
Derzeit beschäftigt sich der Arbeitskreis „Freiraumsicherung und -entwicklung in der räumlichen Planung“ (2020 – 2024) mit spezifischen Ansätzen für die räumliche Planung und Entwicklung und bezieht sich explizit auf Flächensparziele in Regionen und Kommunen. Ein ARL-Forschungsbericht aus dem AK wird in 2024 erscheinen.
Der transdisziplinäre Anspruch der ARL kommt bei dem multidimensionalen Thema der Freiraumsicherung und -entwicklung stark zur Geltung. Diskutiert werden regionale und kommunale Ansätze für flächensensible Siedlungsentwicklung, für integrierte Planungsansätze, für multifunktionale und vernetzte Flächen und großräumige Freiraumverbünde. Welche Handlungsaufträge geben wir der Planung mit und welche innovativen Freiraumstrategien müssen in Zukunft eine stärkere Rolle spielen? Einen wichtigen Impuls setzt hier z.B. das WBGU-Gutachten 2020: „Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration“.
Die AG „Perspektive Nettonull Flächenverbrauch“ der LAG NRW hat sich mit den zentralen Themen Innenentwicklung, Rückbau und städtebauliche Qualifizierung als Elemente einer Flächenkreislaufwirtschaft auseinandergesetzt. Das gemeinsame Positionspapier ist in 2024 erschienen: Perspektive netto-null Flächenverbrauch | ARL-Net
Wie können wir im Kontext der Transformation zu einer nachhaltigen Raumentwicklung sparsam mit Boden umgehen, welche Akteure sind zentral und welche Strategien können wirkungsstark sein? Mit diesen Fragen hat sich der Arbeitskreis „nachhaltige Raumentwicklung für die große Transformation“ (2016 – 2020) auseinandergesetzt. Eine zentrale These lautete bereits hier: „vom Freiraum her denken“ – statt Siedlungsentwicklung als Kern- und Ausgangspunkt planerischen Handelns zu sehen.
Positionspapier der ARL zur "großen Transformation"
Forschungsbericht der ARL zur "großen Transformation"
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der LAG Bayern und Baden-Württemberg befasst sich mit den Herausforderungen, die große Transformation vor Ort umzusetzen: die AG "Praxis Transformation". Sie hat im Mai 2024 eine gemeinsame Positionierung veröffentlicht, die konkrete Handlungsoptionen und mögliche Ansätze aufzeigt, wie Transformation vor Ort tatsächlich "gemacht" werden kann. Die AG wird am 7./8.11.2024 in Radolfzell eine Transfertagung durchführen: wie kann Transformation in der Planungspraxis umgesetzt werden?
Transfertagung: Raumentwicklung für eine gute Zukunft - Jetzt die große Transformation gestalten
Schutz und Entwicklung von Ökosystemleistungen
Der Schutz und die Entwicklung von Biodiversität und generell von Ökosystemleistungen (ÖSL) ist ein weiteres aktuelles Thema – mit konkretem Bezug zur Raumentwicklung und zur Planung. Wie können die Ziele (bspw. SDGs, TEEB-Erkenntnisse, nationale und internationale Biodiversitätsstrategien) umgesetzt werden in konkrete regionale oder kommunale Planung? Wer sind die raumwirksamen Akteure für Ökosystemschutz, wie können sie angesprochen und bestärkt werden, mehr „in Ökosystemleistungen zu denken“?
Der Arbeitskreis „Ökosystemleistungen in der räumlichen Planung“ (2019 – 2022) hat diskutiert, wie der Schritt von der Theorie zu Praxis gelingen kann - und veröffentlichte mit ein Special Issue in der Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung / Spatial Research and Planning (RuR):
Editorial: Ökosystemleistungen in der räumlichen Planung
Beitrag RuR - Das Ökosystemleistungskonzept in der räumlichen Planung – zehn Thesen
Beitrag RuR - Ansätze zur Integration von Ökosystemleistungen in die formelle räumliche Planung
Beitrag RuR - Das Konzept der Ökosystemleistungen in der Umweltbildung
Beitrag RuR - Ökosystemleistungen in Instrumenten der Stadt- und Regionalplanung
Beitrag RuR - Transformation der räumlichen Planung durch Ökosystemleistungen?
Ein Positionspapier mit den zentralen Aussagen des Arbeitskreises wurde im November 2022 veröffentlicht: Ökosystemleistungen in der räumlichen Planung einsetzen
Wo spielen Ökosystemleistungen eine Rolle, wo finden wir Beispiele in der Landschaft? Die beiden folgenden Infographiken zeigen zum einen 10 Thesen zu Ökosystemleistungen und räumlicher Planung, zum anderen konkrete Leistungen in unterschiedlichen Landschaftselementen. Beide Abbildungen wurden im AK „Ökosystemleitungen“ entwickelt:
Ein Anlass und Ausgangspunkt der Beschäftigung mit Ökosystemleistungen ist die Studie: »Naturkapital Deutschland – TEEB DE«. Der Nachfolger der internationalen TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), will mit ökonomischer Brille Potenziale und Leistungen der Natur konkreter erfassbar machen – um sie so besser in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Ein Band befasst sich explizit mit urbanen Räumen und Entscheidungsprozessen in der Stadtentwicklung:
TEEB Deutschland - Ökosystemleistungen in der Stadt. Band für Entscheidungsträger
weitere Kooperationen zum Thema...
Das Verbundprojekt „Faktencheck Artenvielfalt“ hat als Begleitprojekt zur BMBF-Forschungsinitiative FeDa den aktuellen Stand des Wissens zu den wichtigsten Fragen rund um den Erhalt der Artenvielfalt aufbereitet – Mitwirkende des ehemaligen ARL-Arbeitskreises „Ökosystemleistungen“ und der Geschäftsstelle der ARL sind hier beteiligt u.a. als Autor*innen für das Beitragskapitel „Transformationspotenziale zum Erhalt der biologischen Vielfalt“
Website FeDa_Begleitprojekt Faktencheck
Dazu ist die ARL Mitglied im Leibniz-Forschungsnetzwerk Biodiversität – hier diskutieren 18 Leibniz-Einrichtungen das große Thema mit ihren jeweiligen fachlichen Zugängen und entwickeln gemeinsam Projektideen und interdisziplinäre Fragestellungen. Das Forschungsnetzwerk hat im März 2022 die „10 Must Knows aus der Biodiversitätsforschung“ veröffentlicht. Sie basieren auf einer Bestandsaufnahme zum Erhalt der Natur als Lebensgrundlage des Menschen. Sie wurden von 45 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Leibniz-Forschungsnetzwerks Biodiversität sowie ihren Kolleginnen und Kollegen erstellt.
Im Vorfeld des Weltnaturgipfels, der UN Biodiversity Conference im chinesischen Kunming, hat der Report zum Dialog eingeladen und konkrete Forderungen an die Politik gestellt. Die 10MustKnows wurden im März 2022 auf einem Parlamentarischen Abend des Netzwerk-Forums zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NeFo) und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) im Beisein von Bundesumweltministerin Steffi Lemke der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine Neuauflage ist 2024 erschienen!
Lesen Sie mehr:
ARL-Aktuell zu den 10 MustKnows
Zur Veranstaltung mit Steffi Lemke (Aufzeichnung vom 15.03.2022)
10 Must Knows from Biodiversity Science 2024 (leibniz-biodiversitaet.de)