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Die Vernetzung ist entscheidend

Cordula Kropp im Gespräch

Frau Professor Kropp, Sie kritisieren am Begriff der StadtLandschaft, dass er Trennlinien bzw. Brüche zwischen Räumen ausblendet. An anderer Stelle sprechen Sie auch von einer stärkeren Verräumlichung der Erfahrung von Verletzlichkeit. Was meinen Sie damit?

Cordula KroppZunächst möchte ich festhalten, dass ich eine Anhängerin des Begriffs der StadtLandschaften bin. Aber ich möchte dafür sensibilisieren, dass man bestimmte Trennlinien allzu leicht aus dem Auge verliert, wenn man sich auf diesen Begriff einlässt. Die StadtLandschaft wird häufig positiv konnotiert, ohne dass berücksichtigt wird, dass Räume ganz unterschiedliche Infrastrukturen aufweisen. Ich unterscheide Räume nach dem Grad ihrer Vernetzung, also danach, inwieweit sie eingebunden sind in die globalen Kapital-, Waren- und Personenströme. Zwischen Räumen bestehen große Ungleichheiten, und soziale Benachteiligung ist räumlich konzentriert. Wo man lebt, aufwächst und alt wird, bestimmt sehr maßgeblich die Handlungs- und Teilhabechancen. Die gefährdeten Gebiete sind oftmals die peri-urbanen und sehr abgelegene Gebiete. Manchmal sind es aber auch Randgebiete von Metropolen, weil es dort keine ausreichende Infrastruktur gibt.

Was sind die Triebkräfte hinter einer stärkeren Verräumlichung von Verletzlichkeit?

Sehr verkürzt und provozierend: Die Kapitalverwertungslogik ist die zentrale Triebkraft. Sie bestimmt darüber, welchen Wert Räume haben, wo investiert wird, ob ein Gebiet in die globale Ökonomie integriert ist oder nicht. Es geht um die Kaufkraft von Stadtbewohnern und das Interesse von Investoren – bei den neu gegründeten, innerstädtischen Familiensiedlungen ebenso wie bei sozialen Abwärtsspiralen in Vorstädten. Das entscheidende Kriterium für den Wert eines Gebietes ist seine Vernetzung.

Sie unterscheiden vier Raumtypen: urbane Räume, semi-urbane Räume, peri-urbane Zentren und peri-urbane, von Exklusion bedrohte „Peripherien“. Was zeichnet diese Raumtypen aus, und wodurch unterscheiden sie sich voneinander? Könnten Sie jeweils ein Beispiel nennen?

Das Beispiel für einen Netzwerk-Hub mit Zentrale ist Manhattan. Aber auch die Hamburger Innenstadt ist hierfür ein gutes Beispiel. Hamburg Wilhelmsburg ist hingegen ein Raum, der zwar ebenso zentral, aber nicht gut vernetzt ist. Dieser Stadtteil soll gerade dadurch aufgewertet werden, dass er stärker in bestehende Netze (übrigens auch energetisch) integriert wird. Ein anderes, bekannteres Beispiel für eine zentrale und doch periphere Lage ist die Pariser Banlieue. In diesen Gegenden ist die Wohnbevölkerung von sozialer Exklusion bedroht. Auf der anderen Seite gibt es Räume, die zwar nicht zentral, aber dennoch sehr gut vernetzt sind. In der Region München sind das z. B. die Städtchen rund um den Starnberger See. Ihre Einwohner arbeiten und investieren in München, sind von dort aus global mobil und Teil auch kultureller globaler Diskurse. Auch gibt es peripher gelegene Gebiete, die von einem bestimmten Standortvorteil profitieren – etwa weil dort ein großes Reha-Zentrum oder ein wichtiges Bundesamt angesiedelt ist. Andere dezentrale Orte sind zusätzlich wenig vernetzt. Diese Räume sind massiv von Ausschluss und Niedergang bedroht. Wer kann, zieht dort weg, wer zurückbleibt, ist von vornherein benachteiligt. Das sind zum Beispiel Orte in Mecklenburg-Vorpommern und im Bayrischen Wald. Welche Unterschiede es trotz einer ähnlich peripheren Lage geben kann, sehen Sie, wenn Sie von Bayern über die Grenze ins österreichische Mühlviertel gehen. Beide Gebiete sind gleichsam dezentral. Aber das eine ist voller Vitalität, das andere ist im Abwärtstrend begriffen.

Sie haben die Wertschätzung von verschiedenen Raumtypen in der Bevölkerung untersucht. In Ihrem „Wertschätzungs-Ranking“ sind die suburbanen Räume die zukünftigen Verlierer, Kleinstädte hingegen die Gewinner. Wie passt das zu der von Dieter Läpple beobachteten „Renaissance der Stadt“, deren Beschreibung eher nach Metropolen klingt?

Ich stimme mit Herrn Läpple überein. Im Gegensatz zu der in den 1960er und 1970er Jahren konstatierten "Krise der Städte" erleben wir derzeit insbesondere bei den jungen, gut qualifizierten Wissensarbeitern eine Renaissance der Stadt. Diese Gruppen müssen und wollen in der Stadt bleiben, weil sie dort ihre Netzwerke haben. Aufgrund der instabilen Arbeitsverhältnisse leiden sie aber häufig an Unsicherheitsgefühlen, sie empfinden "Statuspanik" und Stress. Viele suchen nach mehr Gemeinschaft und Teilhabe, manche finden sie in der Stadt in einer Gated Community. In der Wertschätzung dieser Gruppen liegt die Kleinstadt über der Metropole. Deswegen haben auch Baugruben und andere Nachbarschaftsprojekte in den großen Städten gerade Zulauf. Diejenigen, die sich derartige Wohnformen nicht leisten können, ziehen häufiger in kleinere, aber eben gut vernetzte Städte.

Die steigenden Mietpreise in deutschen Großstädten stellen ein wachsendes gesellschaftliches Problem dar. Profitieren die suburbanen Räume von dieser Entwicklung, weil die innovativen Kräfte aus den Kernstädten verdrängt werden?

Nein, nicht unbedingt. Die einzig relevante Frage in diesem Zusammenhang ist, wo Menschen bereit sind zu investieren. Das werden auch in Zukunft die Stadtzentren und die gut vernetzten Gebiete sein. Bei bestimmten Gebieten, z.B. im Gebiet Heerstraße Nord in Berlin, brauchen wir nicht denken, dass sie aufgewertet werden. Eher wird ein weiter außerhalb liegendes, aber gut vernetztes Quartier eine Aufwertung erfahren.

Welche Handlungsanforderungen für die Stadtplanung erwachsen aus den von Ihnen beschriebenen Entwicklungen?

Die Stadt- und Regionalplanung muss stärker die Herausforderungen an Zentralität und Vernetzung berücksichtigen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Fördergelder dort eingesetzt werden, wo die Vernetzung unzureichend ist. Diese Orte müssen gestärkt und stabilisiert werden, weil dort viele Menschen leben und sich die Situation sonst verschlimmert. Gleichzeitig gilt es, über offene und flexible Verwaltungsstrukturen Vernetzungen zu ermöglichen und Konkurrenzen zwischen Nachbargemeinden abzubauen.

Frau Professor Kropp, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Prof. Dr. Cordula Kropp (Hochschule für angewandte Wissenschaften München und Münchner Projektgruppe für Sozialforschung e.V.) führte Gabriele Schmidt im Rahmen des ARL-Kongresses 2013.

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