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Rückblick auf den ARL-Kongress 2013: Regionale StadtLandschaften

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Rückblick und Interviews

Kongressprogramm mit Abstracts und Präsentationen zu den Vorträgen

 Der diesjährige ARL-Kongress fand vom 6.-7. Juni 2013 in Hamburg statt. 

Impressionen vom ARL-Kongress 2013

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Rückblick

Die StadtLandschaften, in denen wir leben, wohnen und arbeiten, verändern sich in rasantem Tempo. Megatrends wie die Globalisierung, der demografische Wandel, die Pluralisierung der Lebensstile, der Klimawandel und die Energiewende prägen die Entwicklung von StadtLandschaften. Im Fokus des diesjährigen ARL-Kongresses am 6. und 7. Juli in Hamburg stand die Frage, wie sich der Wandel begrifflich-konzeptionell fassen lässt und wie er durch Politik und Planung gestaltet werden kann. Rund 200 Wissenschaftler und Praktiker diskutierten in sechs Panels die Auswirkungen der gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Beziehung zwischen Stadt und Landschaft und präsentierten Konzepte zur Gestaltung regionaler StadtLandschaften.

Stadt und Landschaft im Wandel

Zu Beginn ging es um die Frage, wie sich Städte und Landschaften gegenwärtig verändern und welche Ursachen dafür benannt werden können. Prof. Dr. Dieter Läpple, HafenCity Universität Hamburg, beobachtet seit Mitte der 1990er Jahre eine Reurbanisierung: Insbesondere die Bevölkerungsgruppe der 18- bis 30-Jähhrigen wolle immer öfter in der Stadt bleiben. Für die Wiederentdeckung der Stadt gibt es seiner Einschätzung nach vielfältige Gründe: die neuen Anforderungen der Wissensökonomie, ein unsicherer Arbeitsmarkt, das Ende des Traums immerwährender Prosperität, die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen, die Auflösung des weitgehend standardisierten Zeitregimes, der demografische Wandel und die absehbaren Grenzen „fossiler Mobilität“. Die neuen, flexibleren Arbeitsmodelle und die Auflösung des traditionellen Geschlechtervertrags führen dazu, dass Städte häufig bessere Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten, so Läpple. „Der Stadt gehört die Zukunft, und in den Städten wird die Zukunft entschieden. Aber dazu muss die Stadt neu erfunden werden.“ Läpple forderte deswegen dazu auf, über die Rolle der materiellen Produktion in Städten neu nachzudenken (Näheres hierzu auch im Interview mit Dieter Läpple).    
 

Während Läpple sich mit den Veränderungen in Städten auseinandersetzte, betonte Prof. Dr. Olaf Kühne, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und Universität des Saarlandes, Saarbrücken, das Potenzial der landwirtschaftlichen Perspektive für das Konzept der regionalen StadtLandschaften. Nach seiner Auffassung sind durch die Auflösung der konstruierten Dichotomie von Stadt und Land Stadtlandhybride entstanden, die scheinbar Widersprüchliches zusammenbringen: Natur und Kultur, Persistenz und Transformation, Merkmale städtischen und ländlichen Lebens. Kühne plädierte dafür, dass der landschaftlichen Perspektive eine Schlüsselrolle im Umgang mit den Stadtlandhybriden zukommen sollte, da sie sowohl die sozial konstruierte Landschaft als auch deren physisch-materielle Basis berücksichtige. Die integrative Betrachtung dieser Prozesse ermögliche einen Zugang zu materiellen, sozialen und individuellen Entwicklungen und Zusammenhängen, die Integration ästhetischer und emotionaler Zugänge zu räumlichen Arrangements sowie die Berücksichtigung gesellschaftlicher Machtverteilung. Die Dynamik der Stadtlandhybride könne so besser verstanden und gestaltet werden.

StadtLandschaft – Stadt versus Landschaft?

Wenn sich Stadt und Landschaft jeweils verändern, was folgt dann daraus für das Verhältnis zwischen beiden? Und welche neuen Denkräume entstehen daraus für die Raumwissenschaften? Diesen Fragen gingen Prof. Dr. Antje Bruns, Humboldt Universität zu Berlin, und Dr. Antje Matern, TU Darmstadt, nach. Ihrer Ansicht nach ermöglicht das Konzept eine Reflektion und Neubewertung bestehender Denkmuster und Einstellungen in den Raumwissenschaften, weil es das Blickfeld öffnet für Themen, die noch relativ frei von Bedeutungszuweisungen sind. So dränge sich bei dem Begriff „StadtLandschaft“ z. B. unwillkürlich die Frage auf, ob Städte Teil von Natur und Landschaft sind oder diesen dualistisch gegenüberstehen. Bruns vertritt die Meinung, dass Natur und Landschaft nicht vor den Toren der Stadt haltmachen, sondern dass die Stadt Teil von Natur und Landschaft ist. Urbane Ökosyteme können ihre ursprünglichen Funktionen zwar nicht mehr in vollem Umfang erfüllen. Sie verfügen jedoch über Potenziale, deren Erhalt, Pflege und Entwicklung für die Gestaltung einer sozialen und klimagerechten Stadt von großer Bedeutung sind, so Bruns.    

Auch Prof. Dr. Cordula Kropp, Hochschule für angewandte Wissenschaften München, ist eine Anhängerin des Konzepts der regionalen StadtLandschaften. In ihrem Vortrag „StadtLandschaft morgen“ warnte sie aber davor, Trennlinien und Brüche zwischen verschiedenen Raumtypen einer Region oder eines Landes aus den Augen zu verlieren und somit das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sie plädierte dafür, die einzelnen Teilräume einer Region differenziert zu betrachten und sich dabei am Grad der Vernetzung zu orientieren. Nach Kropp ist die Vernetzung (Wie stark sind verschiedene Räume in die globalen Kapital-, Güter- und Personenströme eingebunden?) das entscheidende Kriterium dafür, ob Investoren bereit sind, in diese Räume zu investieren. Sie unterschied vier sozial-ökonomische Raumtypen: Zentren globaler Großstädte (z. B. Hamburger Innenstadt), Suburbs/„Exopolis“ (z. B. Clichy-sous-Bois, 15 km östlich von Paris), innovative Peripherien (z. B. das Mühlviertel in Österreich) und schrumpfende Regionen (z. B. der bayrische Wald). Während die Zentren der Großstädte und die kleineren Städte der innovativen Peripherien in der Regel relativ gut vernetzt seien und sich meist in einer Aufwärtsspirale befänden, sei der Grad der Vernetzung in den suburbanen, von Polarisierung betroffenen Räumen und in schrumpfenden Regionen in der Regel relativ niedrig. Diese Teilräume befinden sich nach Kropp in einer Abwärtsspirale, Fördermittel sollten deswegen vor allem dorthin gelenkt  werden. (Ausführliches Interview mit Prof. Kropp.)

 Regionale StadtLandschaften gestalten

Wie können schrumpfende Städte und Regionen durch Planung gestaltet werden? Dr. Babette Scurrell und Heike Brückner von der Stiftung Bauhaus Dessau zeigten am Beispiel des Dessauer Claim-Projekts, wie sich eine schrumpfende StadtLandschaft neu „konfigurieren“ lässt. Das Prinzip: Immer wenn ein Gebäude abgerissen wird, wird ein Stück Landschaft eingefügt und durch interessierte Akteure „in Kultur“ genommen. Durch diese Pixelierung der Stadt – die Claims sind je 400 m2 groß – sei es gelungen, eine Verwahrlosung der nach Abriss frei werdenden Grundstücke zu verhindern und die Bewohner, Vereine und Unternehmen aktiv an der Stadtentwicklung zu beteiligen. Damit erhielt der Stadtumbauprozess einen entscheidenden Impuls. Das Claim-Projekt ist ein Beispiel dafür, dass mit einem entsprechenden strukturellen Impuls von oben partizipative Stadtentwicklung von unten nachhaltig gefördert werden kann. (Interview mit Scurell und Brückner).    

Dass eine kollektive Aneignung des öffentlichen Raumes auch in Städten mit weniger frei zur Verfügung stehenden Flächen stattfindet, zeigte Dr. Christa Müller von der Stiftung Baukultur, München, am Beispiel der Urban-Gardening-Bewegung. In Müllers Augen ist das Phänomen des Urban Gardenings keineswegs Ausdruck einer romantischen Verklärung des Landlebens („Landlust“), sondern die Suche nach einer anderen Stadt, einer Stadt, die auch die ökologischen und sozialen Kosten unseres Lebens berücksichtigt. „Viele Akteure in Gemeinschaftsgärten suchen nach überzeugenden Lebensformen jenseits des Konsumismus. Sie beteiligen sich zudem an Debatten über die demokratische Nutzung des öffentlichen Raums ebenso wie über nachhaltige Stadtentwicklung, industrielle Nahrungsmittelproduktion oder Umweltgerechtigkeit“, so Müller. In diesem Sinne verknüpfe die Urban-Gardening-Bewegung gärtnerisches Tun mit gesellschaftspolitischen Fragen wie: Wie wollen wir leben und wirtschaften? Was verstehen wir unter einem guten Leben? Als Ergebnis seien neue Phänomene zu beobachten:

  • Upcycling anstatt Recycling (z. B. Container als Gartenbar)
  • Guerilla Gardening (z. B. Bepflanzung von Baumscheiben)
  • die Umgestaltung und Umdeutung von Orten (z. B. Brachflächen und Parkgaragendächer als Nutzgärten)
  • die Betonung von Flexibilität und Mobilität (z. B. mobile Palettenbeete und Kisten)
  • die Repräsentation einer sozialen Haltung (z. B. Gärten als Lern- und Bildungsräume)
  • die Entstehung von Hybridräumen (z. B. durch den Mix von großstädtischen und kleinbäuerlichen Ästhetiken)

Ob durch diese Projekte die Förderung von Urban Gardening zum festen Bestandteil der Freiraumpolitik und -planung deutscher Städte werde, bleibe abzuwarten.    

In den anschließenden sechs Panels wurde die Frage nach den gesellschaftlichen Einflussfaktoren auf regionale StadtLandschaften aufgegriffen. Die Teilnehmenden diskutierten Möglichkeiten der Gestaltung durch Planung für unterschiedliche Politikbereiche.

Chancen und Risiken des Klimawandels und der Energiewende

Welche Herausforderungen und Handlungsnotwendigkeiten für regionale Stadtlandschaften folgen aus dem Klimawandel und der Energiewende? Welche Instrumente und Leitbilder stehen der Planung zur Verfügung, wo besteht Innovationsbedarf? Diese Fragen standen im Zentrum des ersten Panels.    

Dr.-Ing. Stefanie Rößler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden, ging in ihrem Vortrag der Frage nach, wie die Leitbilder der „Durchgrünten Stadt“ und der „Kompakten Stadt“ eigentlich zusammenpassen. Grünflächen werden als zentraler Bestandteil bei der Schaffung einer klimawandelgerechten Stadt gesehen. Im Zuge des Klimaschutzes besteht jedoch ein Konflikt mit dem städtebaulichen Leitbild der kompakten Stadt. Rößler präsentierte ihre Forschung zu mikroklimatischen Effekten von grünen Infrastrukturen und städtebaulichen Strukturen in der Stadt Dresden. Ihr Ergebnis: Eine stärkere Verdichtung steht nicht automatisch dem Ziel der Abkühlung der Stadt entgegen, da z. B. höhere Gebäude mehr Verschattung bieten. Kompaktheit und Durchgrünung seien demzufolge keine Gegensätze, stattdessen sollte eine differenzierte Untersuchung der unterschiedlichen städtischen Grünflächen hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Mikroklima vorgenommen werden.    

Peter Seiffert, Regionaler Planungsverband Oberes Elbtal/Osterzgebirge, Radebeul, rückte den „Umgang mit Extremhochwasser in der räumlichen Planung“ in den Fokus – ein zum Zeitpunkt des Kongresses hochaktuelles Thema. Eine Ursache für die steigenden Schäden durch extreme Hochwässer sieht Seiffert darin, dass die Siedlungstätigkeit in gefährdeten Bereichen trotz vergangener Hochwasserereignisse anhält. Er führte dies u. a. darauf zurück, dass durch Hochwasserschutzanlagen eine Scheinsicherheit suggeriert werde. In dem von ihm vorgestellten Modellvorhaben „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“ (KlimaMORO) werden deswegen auf der Ebene der Regionalplanung Handlungsoptionen für den Umgang mit Extremhochwasser erarbeitet und juristisch überprüft. Es wird z. B. vorgeschlagen, bei der Festlegung von Vorranggebieten der Hochwasservorsorge Extremereignisse zugrunde zu legen, statt wie bislang die Eintrittswahrscheinlichkeit von Hochwasser. In der anschließenden Diskussion wurde besonders deutlich, dass Verhaltensänderungen schon bei der verwendeten Sprache beginnen: Unterstützung fand die Verwendung des Begriffs „Hochwasservorsorgegebiet“ anstatt „Hochwasserschutzgebiet“, außerdem empfahlen die Teilnehmenden einen vorsichtigen Umgang mit dem Begriff „(Rest-)Risiko“.    

Einen Blick über den Tellerrand bot Dr. Olaf Schroth von der University of Sheffield mit seinem Vortrag über die „Räumliche Modellierung von Energiepotenzialen auf regionaler Ebene“ in Kanada. Er präsentierte Methoden zur Kartierung von Potenzialen für erneuerbare Energien, die auf Geographischen Informationssystemen (GIS) und Laserscanning basieren. Dazu zählen Modelle für die Beurteilung der Windenergie- und Biomasseeignung, den Einsatz von Micro Hydros (kleinen Wasserkraftwerken) und ein Solarkataster. Daneben thematisierte Schroth auch die soziale Akzeptanz von erneuerbaren Energien und veränderten Landschaftsformen. Wie Ergebnisse einer aktuellen Umfrage zeigten, spiele für die Akzeptanz nicht nur das Landschaftsbild eine Rolle, sondern auch ökonomische Effekte und die aktive Teilhabe der Betroffenen.

Wie wirkt sich eine erhöhte Mobilität auf Räume aus?

Mobilität ist Ausdruck menschlicher Teilhabe an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austauschprozessen, die im wechselseitigen Einfluss von Siedlungs- und Raumstrukturen sowie Mobilitätsoptionen stehen. Diese Wechselwirkungen werden in der Art und Intensität sowie in ihren räumlichen und modalen Bezügen wesentlich durch anhaltende Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens beeinflusst. Vor diesem Hintergrund standen in Panel 2 vor allem drei Veränderungsbereiche im Fokus: der Strukturwandel der Wissensökonomie, die Veränderung von Lebensstilen und die Veränderungen von Verkehrsstrukturen.    

Dr. Anna Growe, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, und Prof. Dr. Eberhard von Einem, Technische Universität Berlin, analysierten die Verortungstendenzen von wissensintensiver Industrie und Dienstleistungen innerhalb globaler Raumkontexte. Growe ging der Frage nach, welche Räume im Kontext globalisierter Wirtschaftsprozesse wichtige Ankerpunkte für Netzwerke wissensintensiver Dienstleistungen sind. Sie schreibt wissensintensiven Dienstleistungsunternehmen eine Schlüsselrolle im Management globalisierter Wirtschaftsprozesse zu und betonte, dass Prozesse der Globalisierung nicht nur die Abwicklung ökonomischer Abläufe selbst verändern, sondern auch die Standorte beeinflussen, die für die Abwicklung dieser Prozesse wichtig sind.    

Dr. Nicola Hilti, ETH Zürich, und Helmut Schad, Hochschule Luzern, stellten aktuelle Ergebnisse ihres laufenden Forschungsprojektes „Multilokales Wohnen in der Schweiz. Bewegte Praxis im Wechselspiel physisch-materieller, sozialer und biografischer Bedingungen“ vor. Beide hoben hervor, dass Multilokalität zu veränderten Lebens- und Berufsbiografien führt. Dies wirke sich auch auf Organisationen der Wohnungswirtschaft und der Mobilitätsdienstleister aus und stelle Akteure der Raumplanung und -entwicklung vor neue Herausforderungen.    

Mit den Auswirkungen dieser beiden Trends auf Verkehrsstrukturen befassten sich Hendrik Jansen und Jan Garde von der Universität Duisburg-Essen. Ausgehend von der These, dass das individuelle Mobilitätsverhalten abhängig von Lebensstilen und persönlichen Präferenzen sowie von der gebauten Umgebung und vorhandenen Verkehrsangebote ist, verfolgen sie in einem aktuellen Forschungsprojekt am Institut für Stadtplanung + Städtebau der Universität Duisburg-Essen einen interdisziplinären Ansatz, indem die drei Bereiche Mobilität, Städtebau und Lebensstile in Beziehung zueinander gesetzt werden.

Regionale Stadtnaturen – Stadt in der Natur, Natur in der Stadt

Gegenstand des dritten Panels war die zunehmende Durchdringung von Stadt und Natur, in deren Folge Hybridgebilde entstehen. Mit der Veränderung von Landschaft in regionalen StadtLandschaften ändern sich auch die Vorstellung und die Wahrnehmung von Landschaft sowie die Bedeutung, die diese für den Menschen hat. Sehr anschaulich wurde dies am Beispiel des „Urwalds vor den Toren der Stadt“ Saarbrücken diskutiert. Wie „wild“ ist der Wald, und wie ist das Verhältnis zwischen dieser Wildnis und dem Menschen?, fragten Anna Currin und Dr. Antje Schönwald von der Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaften. In ihrer aktuellen Akteursbefragung haben sie herausgefunden, dass der Urwald bei Saarbrücken nicht frei von menschlichen Einflüssen ist. Eine Gestaltung des Waldes durch den Menschen sei gewünscht – aber bitte unauffällig. Immer stärker trete das Lernen in bzw. von der Wildnis in den Vordergrund: der Wald als Ort sozialer Interaktion. Unbequemlichkeiten wie die Überquerung natürlicher Hindernisse und das Sich-Verlaufen gehören hier zum Konzept, so Schönwald und Currin.

Die sich verändernde Wahrnehmung von Landschaft wird auch durch die Bedeutung von Raumansprüchen des Menschen an das Wohnen und die Erholung deutlich. Dr. Maarit Ströbele von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf stellte die Ergebnisse ihres Forschungsprojektes „Raumansprüche der Gesellschaft“ vor. In dem Projekt wurden die Wohnstandortpräferenzen der Bevölkerung im peri-urbanen Raum der Stadt Zürich untersucht. Die Selbstwahrnehmung der Menschen unterscheidet sich nach Ströbele oft von der realen Situation. Objektiv betrachtet leben 60 % der Schweizer im suburbanen Raum, fast 53 % halten jedoch das Dorf für ihren Wohnort. Viele Interviewpartner aus dem peri-urbanen Raum Zürichs hätten sehr ländlich geprägte Wertvorstellungen. Auf die Frage nach Standortpräferenzen wurden häufig Attribute wie „grün“, „ländlich“, „ruhig“, „nachbarschaftlich“ genannt. Konflikte gebe es vor allem zwischen den urbaner orientierten Neuzugezogenen und den „alteingesessenen Landfreunden“, welche die typischen anti-urbanistischen Tendenzen vieler Schweizer widerspiegelten.    

Beide Vorträge zeigten, dass vor allem bezüglich der Wahrnehmung von Landschaft, der Ansprüche der Menschen an die Stadtnatur und der planerischen Antworten weiterhin viel Diskussionsbedarf besteht.

Infrastrukturlandschaften planen und gestalten

Leitungen, Kabel, Straßen oder Tunnel stehen – auch wenn von uns kaum wahrgenommen – in enger Wechselwirkung zur Entwicklung der Städte und tragen maßgeblich zur Gestaltung der heutigen StadtLandschaften bei. In Panel 4 standen diese Systeme im Zentrum, als es um die Beantwortung der Frage ging, wie sich Städte und StadtLandschaften an die Herausforderungen des Klimawandels anpassen können.    

Helke Wendt-Schwarzburg von inter 3 – Institut für Ressourcenmanagement, Berlin, zeigte am Beispiel der Abwärmenutzung einer Biogasanlage durch ein Fernwärmenetz, wie durch die Verknüpfung verschiedener technologischer Ansätze eine dezentrale und sektorübergreifende Infrastrukturgestaltung erzielt werden kann und wie auf diese Weise die Herausforderungen des Klimawandels besser bewältigt werden. In dem präsentierten Beispiel wurde die Wirtschaftlichkeit der Anlage verbessert, CO2-Emmissionen wurden reduziert und eine preisstabile regionale Energieversorgung für Gewerbe und Bürger konnte erreicht werden. Wendt-Schwarzburg warnte jedoch davor, die Risiken einer solchen Mischung außer Acht zu lassen, denn noch gebe es keine allgemeinverbindliche Antwort darauf, wie die Versorgungssicherheit bei sich ändernden Rahmenbedingungen (veränderte Einspeisevergütung, Veränderungen der landwirtschaftlichen Preise, Setzung politischer Rahmenbedingungen) sichergestellt werden kann.    

Elke Kruse von der HafenCity Universität Hamburg und Sophie Schramm von der Technischen Universität Darmstadt widmeten sich in ihren Beiträgen dem Umgang von Städten mit Wasser, z. B. mit veränderten Niederschlagsmustern oder mit der Abwasserentsorgung. Die Ausgangsbeobachtung war, dass zahlreiche Städte zwar Konzepte für ein verbessertes Regenwassermanagement entwickelt haben, diese aber selten zur gestalterischen Aufwertung bestehender Quartiere nutzen.    

Kruse stellte in diesem Zusammenhang drei gute Praxisbeispiele vor: Rotterdam, New York und Singapur. Rotterdam hat ein Konzept erarbeitet, das eine wasserfeste Stadtgestaltung zum Ziel hat. Es soll den Schutz vor Überflutungen gewährleisten und zu einer Verbesserung der Wasserqualität sowie zur Aufwertung von Stadtquartieren beitragen. Indem versucht wird, möglichst viel Regenabfluss temporär zu speichern, sollen unkontrollierte Flutungen zu kontrollierten Flutungen gemacht werden. New York wiederum ergänzt seine sanierungsbedürftige Kanalisation gezielt durch eine „grüne Infrastruktur“ im öffentlichen Raum, die aus straßenbegleitenden Versickerungsbeeten, neuen bzw. umgebauten Parks und neu gepflanzten Straßenbäumen besteht. Die beispielhaften Bilder zeigten allerdings – zumindest aus deutscher Perspektive – ein eher bescheiden gehaltenes Straßenbegleitgrün. In Singapur werden die offenen Betonkanäle, durch die die tropischen Regenfälle abgeleitet wurden, durch Flusslandschaften ersetzt. Hierdurch wird das Wasser nicht nur verzögert abgeleitet, es erfolgt auch eine Aufwertung der angrenzenden Freiflächen.    

Schramm zeigte am Beispiel der Stadt Hanoi, wie das in der Kolonialzeit eingeführte Leitbild der „trockenen und sanitären Stadt“ in historischen und aktuellen Stadt(entwässerungs-)Planungen konkretisiert wurde und welche Rolle dieses Leitbild in Stadtentwicklungsprozessen spielte und spielt. Nach Schramm zeigt sich die Aktualität des „alten“ Leitbildes im Umgang der Stadt mit ihrem Abwasser: Nach wie vor wird die Stadt als Produktionsort von Abwässern und das Land als Senke ausgewiesen. Allerdings finde die dynamische Urbanisierung Hanois innerhalb diverser Prozesse statt. Formelle Pläne werden dabei nicht umgesetzt, jedoch repräsentieren und festigen sie Interessen und Vorstellungen von Politikern und Planern und prägen als solche die Entwicklung des urbanen Raumes, so Schramm.

Soziales Miteinander fördern und gestalten

Thema des 5. Panels war die Frage, wie angesichts sozialer Polarisierungs- und funktionaler Entmischungsprozesse ein soziales Miteinander im großstädtischen Kontext und auf regionaler Ebene gefördert werden kann. Prof. Dr. Susanne Frank von der Technischen Universität Dortmund diskutierte die gesamtstädtischen Folgen der neu geschaffenen innerstädtischen Wohngebiete für Mittelschichtshaushalte. Deren Wohnwünsche und -bedürfnisse, die bislang suburban verortet und erfüllt wurden, verlagern sich zunehmend in zentrale und innenstadtnahe Lagen. Als problematisch gelte, dass diese Gruppe zwar einerseits die urbane Vielfalt emphatisch begrüßt, aber andererseits dafür sorgt, dass sie in ihren halboffenen Wohnvierteln unter sich bleibt. Die Stadtlust der Mittelschicht als Motor der Entsolidarisierung? Franck kam in ihren Untersuchungen zu einem differenzierteren Ergebnis: Trotz der unbestreitbaren Abgrenzungstendenzen sei in dieser Gruppe durchaus ein Bewusstsein für die wachsenden Probleme der Großstadt vorhanden. Es gebe hohe Solidaritätspotenziale und eine auf die Gesamtstadt bezogene Umverteilungsbereitschaft. Die unbestreitbaren Abgrenzungstendenzen seien vielfach auf tiefgreifende Verunsicherungen zurückzuführen: Die neue Mittelschicht erlebe ihre Situation als privilegiert, aber zugleich als instabil und vulnerabel.

Prof. Dr. Henning Nuissl und Janko Vollmer von der Humboldt-Universität zu Berlin stellten die Ergebnisse ihrer explorativen Fallstudie zu den Folgen einer Konzentration von Altersarmut in Berlin-Spandau vor. Ihr Ergebnis: Die Mobilität von Personen wird nicht allein von ihrem Alter oder ihrem Gesundheitszustand bestimmt, sondern ganz maßgeblich auch von ihrem finanziellen und sozialen Kapital. Diese individuellen Ressourcen seien aber insbesondere in Quartieren mit einer Konzentration von Altersarmut gering. Nuissel und Vollmer schlugen deswegen eine Raumorientierung in der Altenhilfe und eine Änderung der Sozial- und Rentenpolitik vor.    

Wie sich die Raumplanung an die demografischen Veränderungen anpassen und wie sie die Lebensqualität in bestimmten Gebieten aufrechterhalten kann, zeigte Madeleine Koch von der Universität Salzburg am Beispiel des EU-Projekts „Demochange – Demographic Chance in the Alps“. Im Rahmen eines integrierten Sozialfestivals wurden Projektideen der lokalen Bevölkerung und sozialer Institutionen gefördert. Auf diese Weise konnte der soziale Zusammenhalt und die Eigeninitiative vor Ort gestärkt werden, wie Koch darlegte.

Die Entwicklung regionaler StadtLandschaften integrativ steuern

Integrative Steuerung, z. B. in Form von informellen Kooperationen, gewinnt als Ergänzung der herkömmlichen Planungsinstrumente an Bedeutung. In Panel 6 wurden drei konkrete Praxisbeispiele für kooperative Planungsansätze vorgestellt, das Thema „Grenze“ wurde aus einem eher konzeptionell-philosophischen Blickwinkel betrachtet.    

Zunächst berichteten Andreas Obersteg, HafenCity Universität Hamburg, und Guido Sempell, Hamburger Behörde für Stadtplanung und Umwelt, von ihren Erfahrungen mit der Initiierung informeller Kooperationsnetzwerke in der Metropolregion Hamburg. Vier solche „Nachbarschaftsforen“ sind hier in den letzten Jahren initiiert worden, um die Strategiefähigkeit der angrenzenden Bezirke und Teilräume zu erhöhen. Trotz diverser Schwierigkeiten bei der Etablierung dieser Foren werden sie in der Praxis grundsätzlich positiv aufgenommen, so Obersteg und Sempell.    

Ganz neue Verfahren der Bürgerbeteiligung durch webbasierte Instrumente stellte Julian Petrin, Nexthamburg, vor. Aus der Anwendung und dem Transfer des von ihm entwickelten Open-Innovations-Modells für die Stadt Hamburg leitete Petrin Faktoren für die erfolgreiche Anwendung seines „Crowdsourcing“-Ansatzes ab. Diese reichen von der Definition eines klaren Versprechens über den Aufbau einer Community und Online- und Non-line-Kommunikationskanäle bis hin zur Schaffung von Erlebnissen und zur Sichtbarmachung der Leistungen einzelner.    

Dr. Gabriele Wendorf und Christin Wemheuer, Technische Universität Berlin, berichteten von der Bewohnerbeteiligung bei der Grünraumgestaltung ihres direkten Wohnumfeldes. Mittels einer eigens dafür entwickelten „Grünen Mappe“ wurden die Präferenzen und Ideen von Bewohnern aller Altersstufen ermittelt und bei der Umsetzung von den Wohnungsunternehmen berücksichtigt. Als Vorteile dieses Verfahrens nannten Wendorf und Wemheuer u. a. die Vermeidung von kostenintensiven, möglicherweisen nicht erforderlichen Diensten und Veränderungsmaßnahmen sowie die erhöhte Zufriedenheit der Bewohnerschaft.    

Während diese drei Beispiele darauf abzielten, bestehende Grenzen durch Kooperationen und neuartige Prozesse zu überschreiten, stellte Ricarda Pätzold von der Technischen Universität Berlin die Frage, ob nicht auch eine „Sehnsucht nach der Grenze“ existiere. So sei das Verständnis von „Stadt“ oder „Land“ in erster Linie ein sehr subjektives, und – wie die in der Stadt oftmals romantisierte „Landlust“ – gerade von seinem Gegenteil geprägt. Mit der Heraushebung der verschiedenen Funktionen von Grenzen, einerseits als Abgrenzung, andererseits als Identitätsbildung bzw. als „Sich-nahe-Sein“, plädierte Pätzold für eine Berücksichtigung dieser Dichotomie in der Planung.

Regionale Stadtlandschaften – welchen Mehrwert hat das Konzept?

In ihrem Veranstaltungsfazit hoben ARL-Vizepräsidentin Prof. Dr.-Ing. Sabine Hofmeister, Leuphana Universität Lüneburg, und Wilhelm Schulte, Erster Baudirektor, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg, die breite Anschlussfähigkeit des Suchkonzepts der regionalen Stadtlandschaft hervor. Seine multiperspektivische Betrachtung von Räumen ermögliche eine nicht von vornherein durch Gebiets-, Ressort-, Hierarchie- und Wahrnehmungsgrenzen eingeengte Analyse. Dadurch werde wiederum grenzüberschreitendes, kollektives Verstehen und Handeln erleichtert. Das Konzept biete keinen Königsweg für den Umgang mit den stattfindenden Wandlungsprozessen, doch angesichts der ganz unterschiedlichen Probleme und Kontexte sei dies auch weder möglich noch wünschenswert. Stattdessen könne das Konzept dabei helfen, den Blick zu weiten und dadurch Laboratorien und Experimentierfelder für innovative Problemlösungen vor Ort zu schaffen.    
 

Judith Bornhorst , Martina Hülz, Lisa Marquart, Peter Müller, Anne Ritzinger, Gabriele Schmidt, Andreas Stefansky

Mit freundlicher Unterstützung durch

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Booklet zum ARL-Kongress 2013 (PDF)