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Bericht aus dem Plenum

Bereits mit den Grußworten des Kongresses durch den Präsidenten der ARL, Ministerialdirigent a. D. Dr. Bernhard Heinrichs, sowie durch den nunmehr ehemaligen Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa der Freien Hansestadt Bremen, Dr. Reinhard Loske, wurden die Kernpunkte des diesjährigen Kongresses angesprochen. Bereits zu Zeiten der Hanse hatte es zwischen den Staaten ein Miteinander, Füreinander und Gegeneinander gegeben, welches das Zusammenwachsen Europas auch heute charakterisiert. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, mit denen sich die Staaten Europas konfrontiert sehen, ist die Marginalisierung der Raumordnung beispielsweise in Deutschland auf der Bundesebene kritisch zu betrachten. Denn die Handlungsfähigkeit des Staates wird erst durch das Sicherstellen von Bürgerbeteiligung garantiert. Auch wenn dies einer Quadratur des Kreises nahekommt, kann Planung dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Konvergenz der Planungssysteme

Allerdings ist gesamteuropäisch eine Konvergenz der Planungssysteme ebenso wenig in Sicht wie eine europäische Planungsdirektive, so Prof. Dr. Simin Davoudi, Universität Newcastle. Diese könnte das von Davoudi beobachtete Problem der Asymmetrie zwischen Regelsystemen gegebenenfalls einer Lösung näher bringen. Sie stellt fest, dass das Regelsystem der ökonomischen Kräfte, welche die räumliche Entwicklung fundamental bestimmen, nicht dem Regelsystem der räumlichen Planung entspricht. Für Ersteres gibt es auf EU-Ebene einen Harmonisierungsprozess, für Letzteres nicht. Die Planungssysteme sind fragmentiert und nationalen Regelwerken unterworfen. Auch ist die ökonomische Integration Europas völlig abgekoppelt von der sozialen Integration, bezüglich derer die Mitgliedstaaten ebenfalls fragmentiert vorgehen. Zwar setzen Elemente der sogenannten Soft Governance, wie beispielsweise die Baltic Sea Region Strategy, ein Hoffnungszeichen, Davoudi hinterfragt jedoch, ob solche Maßnahmen ausreichen, um anstehende Probleme zu bewältigen. Für sie ist entscheidend, dass die EU-Integration nicht nur ein rein ökonomisches Projekt bleibt, sondern sich auch zu einem sozial und räumlich orientierten Projekt fortentwickelt. Dazu müsse die EU Kompetenzen ergreifen und z. B. durch Richtlinien entfalten.

Prof. Dr. Vincent Nadin, TU Delft, schloss daran an und hinterfragte die Qualität und Effizienz der unterschiedlichen Planungssysteme. Er stellte fest, dass gegenüber Herausforderungen wie dem Klimawandel alle Systeme positive Ansatzpunkte aufzuweisen haben. Ob daraus allerdings eine Konvergenz der Systeme entstehen wird, weil diese Art von Herausforderungen alle Mitgliedstaaten betrifft, bleibt für ihn derzeit noch offen. Denn in den Niederlanden, so stellte er beispielhaft dar, verliert die umfassende Raumplanung, die er als strategic oder comprehensive planning bezeichnet, an Bedeutung, stattdessen sind Merkmale des Landnutzungsmanagements vermehrt zu beobachten. In UK bewegt man sich hingegen von der bisher eher am Landnutzungsmanagement orientierten Planung hin zu strategischen Aussagen – nicht zuletzt, weil auch der ökonomische Sektor Reaktionen auf diese Herausforderungen verlangt. Auf EU-Ebene, so schlussfolgerte er, sei es notwendig, die Sektorpolitiken besser zu koordinieren, um trotz unterschiedlicher Systeme diese Herausforderungen bewältigen zu können. Noch gebe es diesbezüglich allerdings wenig positive Zeichen. Immerhin stelle die EU aber nun schon seit einigen Jahren Plattformen und finanzielle Unterstützung für eine Reihe von Impulsen für das Lernen voneinander zur Verfügung.

Vielfalt erhöht Resilienz

Eine interdisziplinäre Studie, die sich mit der Europastrategie 2020 und den daraus erwachsenden Herausforderungen für die Planungssysteme befasste, bildete die Grundlage für die Ausführungen von Dr. Erich Dallhammer, ÖIR. Resilienz und Vulnerabilität von Mitgliedstaaten und Nachbarstaaten gegenüber Globalisierung, Bevölkerungswandel, Klimawandel, Energieversorgung und sozialen Disparitäten waren darin Betrachtungsgegenstand. Die Schlussfolgerungen, die Dallhammer daraus ziehen konnte, weisen in zwei Richtungen: Anpassungsbedarf für Planungssysteme einerseits und für die Regionalpolitik der EU andererseits. Angesichts des europäischen Anspruchs, ökonomische, soziale und territoriale Kohäsion erreichen zu wollen, müssen die Planungssysteme so gestaltet sein, dass sie regional differenziert Bedürfnisse und Vulnerabilitäten erfassen, beschreiben und kommunizieren können. Dieses Wissen sei unabdingbar, weil nur darauf aufbauend proaktiv Anpassungskapazitäten in vulnerablen Regionen gestärkt werden und eine territorial fokussierte Politik umgesetzt werden könne. Dem müsse auch die Förderpolitik angepasst werden. Dort, wo Regionen mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind und geringe Anpassungskapazitäten aufzuweisen haben, wird eine breite Unterstützung benötigt. Das gilt auch für die EU-Nachbarschaftspolitik. Ökonomisch starke Regionen mit geringer Vulnerabilität benötigen – wenn überhaupt – eine fokussierte Unterstützung. Bei jeglicher Unterstützung ist auf die Erhaltung oder die Schaffung von Vielfalt in einer Region zu achten, denn – was man im Analogieschluss aus anderen Disziplinen bereits ahnt und was Dallhammer und seine Projektpartner in ihrer Studie nachweisen – : Vielfalt erhöht die Resilienz.

Soft Planning for Soft Places

Insbesondere auf die territoriale Kohäsion und die Diskrepanz zum Subsidiaritätsprinzip ging Prof. Dr. Andreas Faludi, TU Delft, ein. Mit seinen Schlussfolgerungen, das Hohelied auf das Subsidiaritätsprinzip enden zu lassen, ging er argumentativ in eine ähnliche Richtung wie zuvor Davoudi hinsichtlich der Konvergenz von Planungssystemen oder einer Planungsdirektive. Territoriale Kohäsion und Subsidiarität passen als Zielgrößen nicht zueinander, so Faludi, und er fasste seine Argumente unter dem Slogan „Soft Planning for Soft Places“ zusammen. Damit meinte er, dass Subsidiarität im Widerspruch zu einem herrschaftsfreien Diskurs steht, und knüpfte auch an die von Loske bereits beschworene Bürgerbeteiligung an. Allerdings nur, um sich und den Teilnehmenden sogleich die Frage nach der „Box“ zu stellen, in der sich jeder Einzelne befindet und in der das Individuum als Stakeholder Akzeptanz findet. Außerhalb dieser „Box“ oder Verwaltungseinheit werden Einwürfe nicht zugelassen. Das allerdings steht Governance-Ansätzen entgegen und verhindert vor allem die Möglichkeit, gemeinsame Werte in unterschiedlich zugeschnittenen Territorien und über deren Grenzen hinweg zu entwickeln.

Deutsche Raumgesetzgebung – ein Exportschlager?

Abschließend brach Prof. Dr. Wilfried Erbguth, Universität Rostock, eine Lanze für das System der deutschen Raumordnung und insbesondere für das Instrument des Raumordnungsverfahrens. Beide erhielten durch Aktivitäten auf der europäischen Ebene einen Bedeutungsschub. Festmachen ließe sich dies, so Erbguth, an den Entwicklungen zu einer Maritimen Raumordnungsrichtlinie der EU. Auch das Mitte des Jahres zügig vorangebrachte Gesetzgebungsverfahren zum Netzausbaubeschleunigungsgesetz in Deutschland bestätige dies durch seine Textanleihen beim Raumordnungsgesetz. Angesichts solcher Neuerungen und vor dem Hintergrund, ROG und ROV exporttauglich zu machen, forderte Erbguth Verbesserungen ein. Sowohl Öffentlichkeitsbeteiligung wie auch Monitoring bedürften einer Ausweitung auf soziale und ökonomische Belange, um nicht wie bisher über die Strategische Umweltprüfung nur eine Säule der Nachhaltigkeit zu bedienen. Auch sei das ROV stärker als bisher bereits in den Planungsprozess anstatt vor allem in den Genehmigungsprozess einzubinden. Damit könne man in ganz Europa beispielgebend sein und insbesondere dem Problem begegnen, dass Fachplanungen immer häufiger – siehe Stuttgart 21 – mit erheblichen Konflikten und damit auch Kosten verbunden sind.

Evelyn Gustedt

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